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VII
Philosophiegeschichtliche Probleme in der spanischen Spätscholastik

Karl Eschweiler: “Die Philosophie der spanischen Spätscholastik auf den deutschen Universitäten des siebzehnten Jahrhunderts” (1928)




§ 25. Was im Vorstehenden geboten ist, sind erste Erkenntnisse eines geschichtlichen Stoffes, der sehr ausgedehnt und noch kaum erforscht ist. Es wäre darum ein gründliches Missverständnis, das Gebotene für ein irgendwie abschließendes Urteil über die geschichtliche Bedeutung der spanischen Spätscholastik zu nehmen. Das kann nur auf dem Wege von vielen Einzeluntersuchungen und monographischen Darstellungen erreicht werden. Aber die ersten, notwendig mehr im Allgemeinen bleibenden Erkenntnisse sind deshalb nichts weniger als unnütz für die Historie; auch in der echten historischen Erkenntnis ist das universale Wesen des konkreten Stoffes das Ersterkannte, welches die unter seinem Lichte fortschreitenden Einzelerkenntnisse bis zu der Einsicht des einmaligen und singulären So-Daseins der geschichtlichen Gestalten soweit wie möglich vervollkommnen sollen. Der Glaube, das Gewesene sei an und für sich ein atomistisches Chaos von einzelnen Daten, woraus erst allmählich durch Einzelfeststellungen ein zusammenhängendes Verständnis zu gewinnen sei, führt folgerichtig zu jenem historistischen Nominalismus, der die Geschichte bzw. die Geschichtswissenschaft als [319] Sinngebung des Sinnlosen definiert. Der vorliegende Hinweis hat seine –im wissenschaftstheoretischen Sinn zu verstehende– Nützlichkeit dadurch zu beweisen, dass er die in dem historischen Stoffe liegenden Probleme zum Bewusstsein bringt. Deshalb seien zum Schluss noch einige der hauptsachlichen Probleme rekapituliert, die auf dem Wege unserer Untersuchung aufgefallen sind.

Die von Suarez geführte Schulrichtung tritt in ihrer großartigen Geschichte als eine geschlossene Einheit auf; aber sowohl ihre Entstehung wie ihre Verbreitung birgt in historischer Hinsicht viele Fragen. Die auffällige Schnelligkeit und Allgemeinheit, mit der sich die suarezische Metaphysik durchgesetzt hat, ist ein Zeichen, dass es hier eine Vorgeschichte gibt, von der wir noch wenig wissen. Es handelt sich vor allem um die grundlegende Veränderung, welche der Renaissance-Humanismus in der Auffassung des Wesens der wissenschaftlichen Erkenntnis hervorgerufen hat. Dem humanistischen Glauben an den Ausdruck, das Wort, den Logos entspricht der erkenntnistheoretische Konzeptualismus und Logizismus, der bald mit platonisch augustinischem, bald mit nominalistischem Erbgut aufgemacht worden ist. Aus diesem Zusammenhange sticht ein konkretes ideengeschichtliches Problem besonders hervor; es ist der Bedeutungswandel, den die Begriffe ars und scientia zunächst in der Renaissancephilosophie und dann in der Reihe Fonseca-Toledo-Ben. Pereira-Rubio-Suarez-Vasquez erfahren hat. Die breite Diskussion über den Charakter der Logik bietet das mächtige Material dazu, aber nicht das ganze; denn das Denken hat nur als eine besondere Art des Produzierens und die Logik nur als Spezies der ars (techne) bzw. des usus organicus (instrumentalis) gegolten. Der überlieferte Locus communis von den Quinque habitus intellectivi (sapientia-scientia-intellectus-ars-prudentia) ist dabei als wichtiger Fundort zu beachten, an dem die Wandlung des aristotelischen Wissenschaftsbegriffs in der doppelten Richtung des konstruktiven Rationalismus wie des pragmatistischen Positivismus sehr oft zum Vorschein kommt. Die Bedeutung dieses Fragenkreises ist jedem einsichtig, der die historisch genaue und klare Bewusstmachung der «Geist der Neuzeit» genannten Wirklichkeit nicht für eine nebensächliche oder gar unnütze Aufgabe der Geschichtsforschung hatten will. Jedenfalls bedarf es einer ins einzelne gehenden Untersuchung des angedeuteten Problems, ehe die Eigenart der Schulphilosophie des Jesuitenordens, die oben als praktischer Intellektualismus charakterisiert wurde, in ihrer Entstehung und in ihrer Vorherrschaft über das siebzehnte Jahrhundert historisch genau begriffen werden kann.

Dass die spanische Spätscholastik als Ganzes stark durch die italienische Renaissance bedingt ist, wird allgemein angenommen. Aber es ist historisch noch wenig erkannt, wenn hervorgehoben wird, die Franz von Vitoria, Melchior Cano, Dom. Soto hätten ein besseres Latein [320] geschrieben, den Wert des positiven Quellenstudiums betont, gegen scholastische Spitzfindigkeiten geeifert. Philosophen und Theologen bzw. ihre Lehre und Schuleigenart sind in ihrer geschichtlichen Bedeutung noch wenig erkannt, wenn nur die Bedingtheit im Darstellerisch-Technischen festgestellt ist. Es ist vielmehr zu fragen, auf welchen Wegen und in welchem Maße die einzelnen Vertreter der Spätscholastik die neuen philosophischen Prinzipien der in Italien wie auch in Spanien selbst wirksamen Renaissance angenommen haben. Erst durch solche das Literarische ins Ideengeschichtliche erhebenden Untersuchungen kann die Individualität der Denker und die Eigenart der Richtungen historisch verstanden werden. Die Verschiedenheit der thomistischen von der suarezischen Schulrichtung ist historisch aus der Verschiedenheit zu erklären, womit die Fonseca, Pereira usw. auf der einen und die Vitoria, Cano auf der anderen Seite von der Renaissance gelernt haben. Ob es sich hier bei den Gründern der Jesuitenschule um mehr gehandelt hat als um die Aufnahme der humanistischen Philologie und einzelner peripherischer Philosopheme, wird erst durch die problemgeschichtlichen Einzeluntersuchungen sicher entschieden werden können. So zentral in dieser Hinsicht auch das ars-scientia-Problem gelegen ist, es ist keineswegs das einzige. Eine Frage, die sowohl für den formalen Denkhabitus wie besonders auch für den materialen Gehalt der neuen Schullehre von entscheidender Bedeutung ist, geht dahin, ob und wie der dualistische Parallelismus von Leib und Seele, von Sinnlichkeit und Verstand, von menschlichem und göttlichem Willen in der Renaissancephilosophie vorgebildet und historisch faktisch begründet ist{107}.

§ 26. Der zweite Fragenkreis, den die spanische Spätscholastik der Philosophiegeschichte aufgibt, hat seinen Mittelpunkt in dem großen Problem, wieweit in dieser Scholastik schon die Prinzipien der modernen Philosophiesysteme vorgebildet sind und an welchen konkreten Tatsachen sich eine Beeinflussung feststellen lässt. Hier ist das Feld der beliebten Fragestellungen: Descartes und die Scholastik, Spinoza und [321] die Scholastik, Leibniz und die Scholastik, Locke und die Scholastik. Die Reihe kann noch ausgedehnt werden. So würde es z. B. für die deutsche Philosophieentwicklung besonders lehrreich sein, die Beziehungen der Wolffschen Schulphilosophie zur katholisch-protestantischen Scholastik des siebzehnten Jahrhunderts klarzulegen. Doch die bisherige Behandlung solcher Themen lässt durchweg erkennen, dass sie allein dann zu historisch klaren und sicheren Ergebnissen führen kann, wenn vorher auch das zweite Verhältnisglied, «die Scholastik» nämlich, eine geschichtlich wirklich bekannte Größe geworden ist. In der vorstehenden Abhandlung musste immer wieder darauf hingewiesen werden, wie die anscheinend sehr zählebige Willkür, womit von katholischer wie von akatholischer Seite der scholastische Aristotelismus als ein per se und «im wesentlichen» einheitliches Continuum in Rechnung gestellt wird, zu historischen Fehlurteilen oder doch zu Unklarheiten geführt hat. Der geniale Blick eines Tröltsch ist nicht jedem gegeben{108}. Selbst die so gründliche und mit echt philosophischem Verstehen geschriebene «Geschichte der aristotelischen Philosophie in Deutschland» ist an vielen Stellen dadurch beeinträchtigt worden, dass die überlieferte Vorstellung von dem, was «die Scholastik» benannt wird, allzu mächtig war. Immerhin hat Petersen das Fragwürdige dieser Vorstellung empfunden; er fühlte sich wenigstens veranlasst, ausdrücklich zu sagen, was er unter Scholastik verstehe. Seine Bestimmung lautet so (a. a. O. S. 304):

«Unter Scholastik verstehe ich mit de Wulf, Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, 1913, S. 80 ff., eine Gruppe der mittelalterlichen Philosophie, die sich heraushebt durch Übereinstimmung in wichtigsten Grundlehren bei oft starker Abweichung im einzelnen, und die besonders vertreten wird durch Alexander von Hales, Albert den Großen, Bonaventura, Thomas, Duns Scotus, Wilhelm von Occam.» Beizufügen ist, dass de Wulf als «wichtigste Grundlehren» den Gegensatz zum Pantheismus und Materialismus aufgezählt und als positives Einheitsband den «gotischen» Geist des Mittelalters genannt hat. [322]

Diesen Begriff von Scholastik wendet Petersen ohne Differenzierung auch auf jene besondere Scholastik an, die ihm bei seinen Forschungen über den Aristotelismus des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts entgegentrat. Doch die gegebene Bestimmung ist auch abgesehen davon schon an sich von sehr geringem historischen Wert. Sie besagt nicht mehr, als wenn etwa die Philosophen der Feuerbach, Comte, Nietzsche, Ostwald unter irgendeinem Namen XY als eine historisch einheitliche Gruppe zusammengefasst würde, weil sie sich «durch Übereinstimmung in wichtigsten Grundlehren» (nämlich im Anti-Theismus und AntiSpiritualismus) aus der Denkbewegung des neunzehnten Jahrhunderts herausheben. Es mag kommenden Zeiten praktisch erscheinen, den Namen XY zur Bezeichnung der genannten Philosophenreihe zu erfinden; und der ihnen «bei starker Verschiedenheit im einzelnen» gemeinsame Entwicklungsgedanke gäbe sogar eine philosophiegeschichtlich greifbarere Einheit ab, als es der augustinistisch, thomistisch, nominalistisch aufgefasste Aristotelismus oder gar der «gotische» Geist ist, der dem wesenhaft übernatürlichen –und der bloßen Philosophiegeschichte als solcher entlegenen– Offenbarungsglauben in Alexander, Thomas, Occam zugrunde gelegen hat.

Der Name Scholastik kommt von schola bzw. scholasticus; er bezeichnet ursprünglich nichts mehr als die schulmäßige Darbietung. Was über diese ursprüngliche Bedeutung hinaus noch weiter unter dem Namen gedacht wird, ist eine philosophiegeschichtliche Erkenntnis nur insofern, als es an der konkreten historischen Wirklichkeit erfüllt wird. Es hat freilich eine Zeit gegeben, wo die Scholastik tatsächlich eine solche «im wesentlichen» einheitliche Wirklichkeit gewesen, so dass die Professuren der thomistae, scotistae, nominales untereinander ausgewechselt werden und sogar die Philosopheme der drei Richtungen in ein und demselben Traktat nebeneinander Recht behalten konnten{109}. Aber eine derartige «Synthese» war und wird immer ein Zeichen sein, dass das philosophische Erkenntnisstreben nicht mehr ernst genommen und einem –übrigens nominalistisch fundierten– Praktizismus verfallen ist. Der schlagwortartige Gebrauch des Wortes Scholastik, mag er im bösen oder besten Sinne gemeint sein, hat in der historischen Forschung nichts zu tun. Hier ist sogar die ursprüngliche, auf die schulmäßige Darstellungsweise eingeschränkte, Bedeutung keine konstante Größe; denn der Wechsel von hochscholastischer Quaestio, spätscholastischer Disputatio und neuscholastischer Thesenmethode kommt natürlich nicht von ungefähr.

Die erste Aufgabe der Geschichte der spanischen Spätscholastik wird darum diejenige sein müssen, die im vorigen Paragraphen umschrieben wurde. Zuerst muss die geschichtliche Individualität dieser Scholastik und die Verschiedenheit ihrer Richtungen möglichst klargelegt [323] sein, ehe der zweite große Fragenkreis, der den Einfluss der scholastischen Umwelt auf die neuzeitlichen Philosophiesysteme umgreift, mit Sicherheit angegangen werden kann.

§ 27. Als Jakob Freudenthal im Jahre 1887 in bestimmter Weise auf diesen Einfluss aufmerksam machte, hat M. Gloßner gleich auf die Aufgabe hingewiesen, die Forschungen Freudenthals bedürften einer über die Feststellung einzelner scholastischer Überbleibsel in Descartes-Spinoza hinausgehenden Fortsetzung, «in dem Sinne nämlich, ob die jüngere Scholastik auf die eigentümlichen Lehren Descartes' und Spinozas selbst, die ihren Systemen das spezifische Gepräge geben, Einfluss geübt habe»{110}. Diese Fragestellung geht allerdings auf das Hauptproblem, das die spanische Spätscholastik der philosophiegeschichtlichen Forschung aufgibt. Was in der vorliegenden Literatur über «Descartes und die Scholastik», «Spinoza und die Scholastik» usw. erarbeitet worden ist, hält sich zum weit überwiegenden und besten Teile in der Linie, bei den einzelnen Philosophen memoriertes Lehrmaterial der Schule festzustellen; und auch dieses geschieht infolge des Dunkels, das noch über der Geschichte der Spätscholastik liegt, nicht selten unzulänglich genug{111}. Die eigentliche Kernfrage nach dem Einfluss der [324] scholastischen Umwelt auf das spezifisch neuzeitliche Philosophieren wird nur gelegentlich angerührt. Sie erfordert allerdings eine äußerst behutsame Behandlung (–behutsam im wissenschaftlich methodischen Sinne verstanden; denn wer den großen Denkern des siebzehnten Jahrhunderts historisch verstehend bis in ihre Prinzipien hinauf nachsteigt, ist als Forscher der Sphäre entrückt, worin sich ein politisches «tua vel mea res agitur» bewegt–); hier liegt nämlich die Gefahr nahe, parallele Denktendenzen oder gar prinzipielle Abhängigkeiten anzunehmen, wo nur materiale Ähnlichkeiten oder prinzipiell neu formierter Erinnerungsstoff bestehen. Die Schwierigkeit ist natürlich kein Grund, dieses eigentliche Hauptproblem –etwa aus außerwissenschaftlichen Klugheitsmaximen– auf sich beruhen zu lassen.

In der vorliegenden Abhandlung ist die Gestalt Leibnizens mit Absicht in den Vordergrund gerückt worden. Ihre Größe wird immer mehr von der Philosophiegeschichte gewürdigt; und das Thema «Leibniz und die Scholastik» bietet das umfangreichste und verhältnismäßig am leichtesten zugängliche Material für die Erforschung des Einflusses der spanischen Spätscholastik auf die Philosophie der Neuzeit. Emil Weber hat nicht ohne Grund Leibniz «den größten Schüler» der philosophischen Scholastik der protestantischen Orthodoxie genannt{112}. Die Andeutungen und Hinweise, auf die sich diese Untersuchung beschränken musste, reichen schon hin, um das Urteil zu rechtfertigen, dass die protestantische Scholastik die vornehmste Vermittlerin und nicht die Bildnerin der Schulbildung jenes «Schülers» gewesen ist. Der philosophiegeschichtlich ungleich wichtigere und mächtigere Magister des deutschen Denkers ist der Spanier Suarez gewesen. Suarez-Leibniz, das sind Gipfel, die miteinander verglichen werden können. Der große deutsche Philosoph des Barockzeitalters hat häufig und deutlich genug bezeugt, dass er den großen spanischen Meister nicht bloß äußerlich respektiert hat; die vereinzelte und philosophisch wenig bedeutende Attacke in dem Vorwort zu der Ausgabe des Nizolius wird nur richtig gewürdigt, wenn sie, wie gezeigt wurde, aus der allgemeinen, von den immanenten Schulprinzipien [325] selbst hervorgetriebenen Unzufriedenheit verstanden wird. Soweit ich sehe, findet sich bei Leibniz kein Ausspruch, der dazu berechtigte, eine auch nur zeitweilige Abwendung von den Prinzipien der suarezischen Metaphysik anzunehmen. Die Monadenlehre und die Theorie von der prästabilierten Harmonie bedeuten zwar einen gewaltigen Fortschritt über Suarez hinaus. Hat aber diese Philosophie darum auch die innere Beziehung zu den eigentümlichen Aufstellungen der suarezischen Erkenntnislehre, Leib-Seele-(Natur-Geist-)Dialektik und Ursachenlehre verloren? P. des Bosses hat es z. B. noch für eine ganz selbstverständliche Aufgabe gehalten, einem ihm und Leibniz gemeinsamen Wunsche entsprechend, Belege dafür beizubringen, dass sogar die kühnsten Extravaganzen des deutschen Metaphysikers mit Meinungen aus der alten Suarez-Schule gedeckt werden könnten. Es ist historisch völlig unhaltbar, die persönlichen Beziehungen, die Leibniz seit seiner Italienfahrt mit den Vätern der Gesellschaft Jesu gepflegt hat, als eine zufällige, bloß praktische Privatangelegenheit zu würdigen; sie beruht vielmehr auf einer weitreichenden Denkverwandtschaft. Dagegen hat Leibniz von der reichen Literatur, welche die thomistische Spätscholastik bis zum Jahre 1700 vorgelegt hatte, überhaupt keine Notiz genommen. Als eine polemische Angelegenheit es ratsam erscheinen ließ, machte des Bosses wiederholt auf eine Schrift des Dominikaners Antonin Reginaldus aufmerksam; Leibniz antwortete, was er, nach seinem Schrifttum zu urteilen, von allen zeitgenössischen Thomisten hätte sagen können: «Non memini quis sit ille Antonius (!) Reginaldus». Und Reginaldus hatte im Jahre 1669 seine Tria Principia herausgegeben, ein Buch, das wegen seiner knappen und sozusagen in «geometrische» Beweismethode fortschreitenden Schlüssigkeit die Aufmerksamkeit Leibnizens hätte reizen können{113}.

Wie notwendig es ist, die unter dem Thema «Leibniz und die Scholastik» zusammengefassten Fragen gründlicher, als es bisher geschehen ist, zu untersuchen und darzustellen, beweist die Tatsache, dass im Jahre 1921 ein dicker Band über die Philosophie des Leibniz veröffentlicht werden konnte, der ein wissenschaftlich historisches Verständnis dieser Philosophie vermitteln will und die Wirksamkeit der zeitgenössischen Scholastik überhaupt nicht berücksichtigt hat{114}.

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{107} Über den Humanismus in Spanien und im besonderen über die Beziehungen der spanischen Spätscholastik zu dem Renaissance-Aristotelismus gibt es noch wenige und nur wenig bringende Vorarbeiten; s. die bei Albert Lang, Die loci theologici des Melchior Cano und die Methode des dogmatischen Beweises, München 1925, S. 46 ff. aufgearbeitete Literatur; außerdem noch die mehr ins Detail gehenden Ausführungen bei: Menéndez y Pelayo, La ciencia Española, tom. II4 , p. 249-398 über Gomez Pereira und Raimunad v. Sabunde; ebd. tom. III, p. 190 ss. die Bibliographie der Renaissance-Aristoteliker in Spanien; derselbe: Historia de las ideas estéticas en España, tomo III3, Madrid 1920; Marcellino Gutierrez, O. S. A., Fr. Luis de León y la filosofia Española del siglo XVI, Madrid 1891 (besonders reich an ausführlichen Zitaten aus schwer erreichbarer Literatur); Eloy Bullón, Los precursores españoles de Bacon y Descartes, Salamanca 1905.

{108} Wie ein weißer Rabe kommt das Urteil vor, welches Heinrich Ritter (Die christliche Philosophie nach ihrem Begriff, ihren äußeren Verhältnissen und in ihrer Geschichte bis auf die neuesten Zeiten, II. Bd., Göttingen 1859, S. 66) über die Eigenart der Spätscholastik erreicht hat. Ritter hat besonders die politische Theorie der Mariana, Molina, Suarez studiert (vgl. seine Geschichte der christlichen Philosophie V. Bd., Hamburg 1850, S. 547-560) und bemerkt an der zuerst angegebenen Stelle, dass die Spätscholastik das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung, Leib und Seele, Staat und Kirche in einem neuen, von der mittelalterlichen Auffassung deutlich abweichenden Sinne bestimmt habe; dann heißt es: «Die Theorie, welche hierüber die katholischen Theologen und besonders die Jesuiten ausbildeten, sieht nun zwar der scholastischen Lehrweise sehr ähnlich; aber die abweichenden Folgerungen und die besondere Wendung, welche ihnen auf das Verhältnis zwischen christlicher und weltlicher Macht gegeben wurde, verraten doch einen veränderten Sinn, welcher bis zu den Grundsätzen hinaufsteigt.

{109} S. Albert Lang, Die loci theologici des Melchior Cano usw. S. 49.

{110} M. Gloßner, «Zur Frage nach dem Einfluss der Scholastik auf die neuere Philosophie», im Jahrbuch für Philosophie und spekulative Theologie, 3. Jahrg. 1889, S. 486-493. An der zitierten Stelle (S. 488) fährt Gloßner unmittelbar fort: «Wir begnügen uns mit einigen Andeutungen, welche die Lehren des Suarez und Toletus betreffen, deren Namen uns unter den Philosophen begegnet sind, die damals nicht allein in den katholischen, sondern auch in den protestantischen Schulen in hohem Ansehen standen. Beide wichen in der Erklärung des Ursprungs der intellektuellen Erkenntnisse von der strengen aristotelisch-thomistischen Lehre in einer Richtung hin ab, die, wie es scheint, den Dualismus und Rationalismus der kartesianischen Philosophie vorzubereiten geeignet war. In einer anderen Beziehung aber dürfte Suarez als Vorläufer des psychologischen Monismus, durch welchen Spinoza die Harmonie der im dualistischen Sinne parallel verlaufend gedachten sinnlichen und geistigen Vorgänge zu erklären versucht, zu betrachten sein. Wir sagen des psychologischen Monismus, denn der große Metaphysiker des Jesuitenordens war weit davon entfernt, den aus der Einheit des Menschenwesens hervorwachsenden Dualismus sinnlicher und geistiger Erkenntniskräfte auf das erste Sein, auf Gott zu übertragen.» Vielleicht ist es nicht überflüssig, ausdrücklich anzumerken, dass dem Verfasser dieser Aufsatz Gloßners erst zu Gesicht gekommen ist, als der Haupteil der vorliegenden Abhandlung bereits niedergeschrieben war.

{111} Alexander Koyré, Descartes und die Scholastik, Bonn 1923, denkt z. B. S. 34 f. bei dem besonderen Sinn, den der Ausdruck «Natur» (als ausschließendes Gegenteil der «Freiheit» verstanden) in dem Schrifttum Descartes´ besitzt, allein an den fernen Duns Scotus und lässt sich infolgedessen dazu verleiten, möglichst viel aus Descartes unmittelbar auf den mittelalterlichen Denker zurrückzuführen. Dabei bemerkt Koyré selber: «Descartes konnte Scotus kennen. Er hat ihn sicherlich nicht gründlich studiert; aber höchstwahrscheinlich ist er ihm nicht unbekannt geblieben ... Die Universitäten von Coimbra und Salamanca besaßen Lehrstühle für scotistische wie für thomistische Philosophie; wahrscheinlich wird Descartes auch von seinen Lehrern, den Jesuiten, in die Diskussionen der Thomisten und Scotisten eingeführt worden sein» (a. a. O. S. 86). – Es kann unmöglich viel geschichtswissenschaftliche Erkenntnis herauskommen, wenn über das Verhältnis Descartes' zur Scholastik geurteilt wird, ohne dass dazu nicht einmal die Disputationes metaphysicae des Suarez, geschweige denn die Antwerpener Sammlung der metaphysischen Lehren des Gabriel Vasquez studiert worden sind. Ungleich besser als das Buch Koyrés, aber immer noch reichlich unexakt sind die Arbeiten Étienne Gilsons: Index scolastico-cartésien und La liberté chez Descartes et la théologie, beide Paris 1913.

{112} Die philosophische Scholastik des deutschen Protestantismus usw. S. 3.

{113} Das Lob des Suarez bei Leibniz Ausgabe Gerhardt V S. 412, VI S. 300, VII S. 168; Die «Harmonie» der Leibnizischen Sonderphilosopheme mit Lehren der Jesuitenschule II S. 319 ff., 335, 417, 422, 424 ff., 449, 509; die Bemerkungen über Reginald II S. 348.

{114} Hermann Schmalenbach, Leibniz, München 1921. Was eigentlich spanische Spätscholastik des jesuitischen Zweiges ist, wird unter der Firma «Calvinismus» erledigt; s. besonders S. 191 ff., wo der Abschnitt mit dem merkwürdigen Satz beginnt: «Arithmetismus und calvinisch gerichtete Religion sind die beiden Wurzeln von Leibniz´ Metaphysik.»

[In: Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft I, Aschendorff, Münster 1928, pp. 251-325.]