III
Der thomistische und der suarezische Erkenntnisbegriff
Karl Eschweiler: “Die Philosophie der spanischen Spätscholastik auf den deutschen Universitäten des siebzehnten Jahrhunderts” (1928)
§ 9. Von den Renaissancethomisten Soncinas, Flandria, Cajetan, Prierio, Ferrariensis, Javelli{47} werden in den reichlichen Angaben, die [276] Freudenthal, Bohatec, Tröltsch und Weber über die in der protestantischen Schulliteratur zitierten Scholastiker gesammelt haben, hin und wieder die Namen Soncinas und Javelli genannt. Die spanischen Thomisten sind mit keinem einzigen Namen vertreten, wenn man von dem oben erwähnten Irrtum Tröltschs absieht. Auch dem Soncinas und Javelli legt keiner der genannten Historiker einen besonderen Einfluss bei. Wir stehen daher vor der Tatsache, dass der eigentliche Thomismus so gut wie gar nicht an dem philosophischen Schulbetrieb beteiligt war, dem in Deutschland die rationalistische Philosophie Leibnizens und Chr. Wolffs entwachsen ist.
Ist aber die Metaphysik des Suarez nicht auch thomistisch? Suarez selbst hat sie so nicht genannt; bei ihm wie in der Literatur der damaligen Jesuitenschule überhaupt treten die «Thomistae» dem Herkommen gemäß als besondere Richtung und gerade in philosophischen Fragen sehr oft als Gegenpartei auf. Der weitere Gebrauch des Namens Thomismus ist, wie schon bemerkt wurde, jüngeren Datums und vorzüglich in Deutschland verbreitet. Es gibt namhafte Historiker, die es für ziemlich belanglos halten, wenn Suarez z. B. in der sogenannten Universalienlehre, d. i. in der Metaphysik der Erkenntnis, von der Lehre des hl. Thomas abweicht; denn es gilt für ausgemacht, dass Suarez ebenso wie Thomas dabei doch strenger Aristoteliker oder, wie der unglücklich nach eklektizistischem Kompromiss schmeckende Ausdruck lautet, «gemäßigter Realist» sei. Gegenüber einer solchen –mit Autoritäten zu verdeckenden, aber auch mit gewichtigen Gegenautoritäten aufzudeckenden– Blindheit in Dingen, die für die Geschichten des neuzeitlichen Denkens von grundlegender und entscheidender Bedeutung sind, muss zunächst versucht werden, den Unterschied zwischen dem thomistischen und suarezischen Erkenntnisbegriff allgemeiner sichtbar zu machen.
Thomas lehrt von dem Wesen der Erkenntnis inhaltlich dieses: Das Formalobjekt des Intellektes ist das Sein als solches, d. h. alles, was Gegenstand geistiger Erkenntnis ist, wird zuerst und unmittelbar als Seiendes erkannt. Der Intellekt (Verstand bzw. Geist) ist seiner Natur nach auf das Erkennen des Seins gerichtet. Daraus folgt, dass er an und für sich offen ist für die Aufnahme und Erkenntnis jeglichen Seins, des körperlichen wie des geistigen, des wirklichen wie des möglichen, des bedingten wie des absoluten Seins. Die sinnliche Erkenntnis ist dagegen auf die Aufnahme und immaterielle Vorstellung der körperlichen Phänomene beschränkt; sie ist als solche in dem Bereich körperlicher Bewegungen und Reaktionen abgeschlossen. Das Tier kann nicht irgendwie ein «Ist» erleben. Demnach ist das spezifische Wesen des Intellektes dadurch bestimmt, dass er an und für sich auf das ens ut universalissimum gerichtet ist. Das ist der Sinn des Satzes, das Formalobjekt des Intellektes sei das Sein als solches. [277]
Diese Definition gilt für den menschlichen Intellekt schlechthin, also auch für die Erkenntnisweise der abgeschiedenen und der seligvollendeten Seelen. In dem gegenwärtigen Zustand der Vereinigung der Seele mit dem vergänglichen Leibe ist es jedoch dem menschlichen Intellekte eigentümlich, dass das universale Sein der körperlichen, sinnlich erfahrbaren Dinge der «ersterkannte» Gegenstand, das Formalobjekt, ist. Die Eigentümlichkeit unseres Verstandes, in seiner Erkenntnis durch die Sinnlichkeit bedingt zu sein, ist nicht zufällig und von außen her –etwa durch irgendeinen «Fall» des Geistes in die Materie– verursacht. Das universale Sein der sinnlich erfahrbaren Dinge ist vielmehr das Formalobjekt, das wesenhaft der sinnlich geistigen Menschennatur entspricht. Wie das Animalische im Menschen –dem Wesen nach– nicht neben dem Geiste ein Sonderleben führt, sondern gerade in seinem Eigenwirken durch den Geist hinaufgenommen ist in die schlechthin höhere Wirklichkeit der natura humana, ebenso formt auch der Intellekt die sinnliche Wahrnehmung bzw. Vorstellung (das phantasma, Sinnesbild), indem er die eigentümliche Wirkweise der Sinne nicht als äußerliche conditio sine qua non neben sich herlaufen lässt. Sondern so durchdringt der Intellekt das Sinnesbild, dass es von ihm die über die materielle Natur hinausgehende Eigenschaft erhält, zum integrierenden Faktor jenes sinnlich-geistigen Ganzen zu werden, das in dem Akte der menschlichen Erkenntnis gegeben ist. Das spezifisch Geistige der menschlichen Erkenntnis zeigt sich darin, dass durch das Sinnesbild hindurch das universale Wesen des körperlichen Dinges erfasst wird. Das Universale wird als Sein –anders ist es mit dem Allgemeinbegriff– nicht erst hergestellt. Es wird überhaupt nicht, sondern ist unmittelbar mit der intellektuellen Erkenntnis als solcher gegeben; es ist eben ihr Formalobjekt, ihr primum cognitum. Aber gerade weil das universale Sein der sinnlich erfahrbaren Dinge das «Ersterkannte» ist, darum kann sich die Verstandeserkenntnis unmöglich in der Bildung von Allgemeinbegriffen vollenden. Das Ende, das wesentliche Ziel der Verstandeserkenntnis liegt vielmehr darin, sich durch die Sinneserfahrung hindurch (convertendo se ad phantasmata) immer mehr der geistigen Aneignung des singulären Wesens dieses Dinges da zu nähern.
Nach Thomas ist also der Prozess der menschlichen Erkenntnis so aufzufassen: Es ist ein durch die Sinnestätigkeit kausal mitbewirktes, fortschreitendes Differenzieren von den allgemeinsten Begriffen des Seins, der Substanz usw. angefangen bis zu den letzten Bestimmungen des konkreten Einzeldings. Eine Vollendung dieses Prozesses, d. i. die vollkommene geistige Erfassung dieses singulären So-Daseins, ist dem menschlichen Intellekt unerreichbar. Denn dadurch, dass ihm die Zuordnung der Sinnestätigkeit eigentümlich ist, sind ihm Grenzen nach oben und nach unten gesteckt. Die als singuläre Wesen subsistierenden [278] geistigen Dinge, z. B. die Engel, die Person, kann er nur analog aus der sinnlich erfahrbaren Welt erkennen; die materiellen Einzeldinge hin wiederum erkennt er in ihrer Singularität nur durch die Sammlung akzidenteller Bestimmungen, nicht aber aus ihrem konstitutiven So-Daseinsgrunde (der ratio intima proprietatum). Allein der göttliche Verstand erkennt die singulären Wesen unmittelbar; denn die Dinge sind von ihrer allgemeinsten Intelligibilität an bis zur letzten spezifischen, ja numerischen Differenz durch die göttliche Erkenntnis verursacht{48}. Auch die Engel sind dieser Erkenntnis fähig, soweit sie um ihres Dienstes willen an den schöpferischen Ideen Gottes teilnehmen{49}.
§ 10. Nach dem großen Lehrer von Granada ist nicht das universale Was, sondern das individuelle Dies der Gegenstand, den der Verstand zuerst und unmittelbar erreicht. Die geistige Natur des Intellektes verwirklicht sich nach Suarez darin, dass er in actu primo nicht von der Konkretheit des Sinnesbildes, sondern nur von dessen Materialität abstrahiert. Suarez findet nichts, was an der Annahme hindern könnte, dass das Formalobjekt, das primum cognitum des menschlichen Intellektes die singuläre Wesenheit der körperlichen Dinge sei; denn, so lautet die gegen Thomas vorgebrachte Begründung, Gott und die Engel erkennen ja auch geistigerweise das individuelle So-Dasein der körperlichen Dinge{50}. Also ist das Formalobjekt des Verstandes mit dem [279] Sinnesbild identisch, abgesehen von dessen Materialität. Beide repräsentieren das konkrete körperliche Individuum, das eine auf sinnliche, das andere auf geistige Weise. Diese formale Identität von Verstandes- und Sinneserkenntnis besteht nun nach Suarez nicht trotz, sondern, wie die Berufung auf die Erkenntnis der Engel und Gottes schon nahe legt, gerade wegen der geistigen Natur des menschlichen Intellektes. Wie denkt er sich das?
Weil Suarez Sinnlichkeit und Verstand nicht mehr nach ihrem Formalobjekte unterscheiden will, ist er genötigt, sie rein dialektisch einander entgegenzusetzen: Sie sind ihm zwei Funktionen der einen menschlichen Seele, die sich gegenseitig notwendig fordern wie zwei Parallelen, von denen die eine nur «das ganz andere» der anderen ist. Die Sinneserkenntnis ist nach Suarez die notwendige Bedingung oder Gelegenheit, aber sie ist in keiner Weise als innere Ursache an dem Akte der menschlichen Erkenntnis beteiligt. Denn der Geist kann nicht auf das Körperliche, und der Körper nicht auf das Geistige einwirken. Dieses Axiom ist nicht nur für die Natur-Geist-Dialektik des neuzeitlichen Denkens maßgebend geworden; in ihm ist auch der metaphysische Gehalt des sogenannten «gemäßigten Realismus» bei Suarez ausgedrückt. In dem Erdenstand der menschlichen Natur ist die Untrennbarkeit von Sinnlichkeit und Verstand notwendig. Aber es ist nur ein Beieinander; der Satz: «Omnis cognitio incipit a sensibus», bedeutet nach Suarez, dass die Sinneswahrnehmung die notwendige äußere Gelegenheit ist, damit der Verstand in Aktion treten kann. Dementsprechend lautet auch der suarezische Aristotelismus: Das universale in re bestehe bloß in der Ähnlichkeit und convenientia der Einzeldinge unter sich: «quae praebet occasionem et fundamentum remotum universalitatis.»{51}
Aus solchen Voraussetzungen folgt natürlich ein Erkenntnisbegriff, der dem thomistischen widerspricht. Nach Thomas ist das universale [280] Sosein des materiellen Dinges das Formalobjekt des menschlichen Verstandes, und von diesem Ersterkannten aus nähert er sich vermittels der Reflexion auf das Phantasma bzw. vermittels der sinnlichen Wahrnehmung dem singulären So-Dasein des Dinges, soweit es für ihn intelligibel ist. Nach Suarez dagegen ist das primum cognitum des Verstandes die singuläre Wesenheit selbst; er erfasst sie genau so unmittelbar und so konkret wie der Sinn. Freilich ist die species impressa des Verstandes ganz geistig, während das Phantasma total materiell ist und bleibt; jene ist auch keine eigentliche Repräsentation, sondern gleichsam der «Samen» des individuellen Objektes im Geiste, woraus sich die formale Repräsentation desselben im Begriffe bilden soll{52}. Mithin ist die Universalität der ersten Begriffe (der conceptus objectivi) das Ende des Erkenntnisprozesses. Die Funktion des Verstandes ist wesensnotwendig und formaliter darauf abgerichtet, Universalität zu «fabrizieren»{53}.
So hat Suarez die thomistische Ordnung geradezu umgestülpt. Der Erkenntnisakt ist bei Thomas jenes sachlich kausale Zueinander von Sinnes- und Verstandestätigkeit, worin sich die wesenhafte Ordnungseinheit der natura humana am reinsten verwirklicht; bei Suarez ist der Akt der menschlichen Erkenntnis in ein rein dialektisches Bei- und Nebeneinander von Sinnlichkeit und Verstand zerfallen. Durch die Unterscheidung der «Formalobjekte» (der prima cognita) im sinnlichen und intellektuellen Erkennen ist es der thomistisch en Auffassung nicht [281] nur möglich, die wesentliche Einheit des menschlichen Erkenntnisaktes in der existentiellen Einheit und Individualität des Objektes, wie es in rerum natura ist, zu begründen, sondern zugleich das eigentümlich Menschliche dieses Erkennens gegenüber dem reinen Verstand –des schöpferisch-göttlichen wie des englischen– und der bloßen Sinnlichkeit festzuhalten; Suarez aber behauptet seine These, dass das singuläre Wesen des individuellen Dinges das Ersterkannte des menschlichen Verstandes sei, durch die Berufung auf die Erkenntnisweise Gottes und der Engel, um zugleich außerstande zu sein, seinen Rationalismus anders als bloß dialektisch vom Sensualismus zu unterscheiden.
§ 11. Noch in einem dritten Punkte lässt sich die Grundverschiedenheit des suarezischen von dem thomistischen Erkenntnisbegriff sichtbar machen. Hier wird sich auch zeigen, inwiefern es berechtigt war, als wir oben den eigentümlichen Denkhabitus der von Suarez geführten Schule als «praktischen Intellektualismus» bezeichneten. Sämtliche Thomisten, soweit sie manchmal in einzelnen Thesen voneinander abweichen, folgen einmütig der Lehre des hl. Thomas darin, dass sie das Wesen des Erkenntnis genannten Aktes nicht als eigentliche actio sehen, durch die etwas produziert wird. Der Erkenntnisakt endet nicht notwendig in der Begriffsbildung; der formale Terminus dieses Aktes ist vielmehr die Kontemplation, die reine Theoria des Wirklichen. Wo aber Begriffe gebildet werden müssen, da kann die Begriffsbildung niemals als Zweck, sondern nur als Mittel des Erkennens, nämlich als Mittel zu seinem wesentlichen Zwecke, der contemplatio, auftreten. Nach Suarez aber ist der Erkenntnisakt eine eigentliche physische Handlung, die ihrem formalen Wesen nach in ihrem Produkte, d. i. im Begriffe terminiert. Das Universale ist ja nach ihm nicht das erstgegebene Intelligible; es muss vielmehr in einer vergleichenden Abstraktionstätigkeit zu sogenannten conceptos objectivi hergestellt werden. Oder, um auch gewissen Bedenklichkeiten, wie Suarez sie namentlich in dem Traktat De anima zu Wort kommen lässt, Genüge zu leisten: Der sogenannte «intellectus agens» ist bei ihm nicht mehr jenes actu leuchtende «Licht», in welchem das Intelligible dem «intellectus possibilis» aufleuchtet; er ist vielmehr der Techniker geworden, welcher per se und unmittelbar das gegenständliche Allgemeinwesen, den sogenannten «conceptus objectivus», aus der (auch geistig!) zuerst erfassten Individualität heraus produziert. Obgleich diese Produktion nur als vergleichende Tätigkeit verständlich ist, so kann Suarez sie doch zugleich als per se und immediate geschehend bezeichnen; denn der Weg von der species impressa singularis bis zum conceptus objectivus universalis verläuft nach ihm ganz im Geistigen, und hat darum mit dem Zeit-Räumlichen der Sinneserkenntnis an sich nichts zu tun. Wo das Verhältnis von Verstand und Sinnlichkeit, wie bei Suarez, in die reine [282] Dialektik des «Ganz Anderen» verschoben ist, da kann allerdings sehr evident gefolgert werden, dass auch die diskursive Tätigkeit des Verstandes ihrer eigenen Natur nach nichts mit dem zeit-räumlichen Diskurs der Sinnestätigkeit zu tun hat; letztere ist ja nur die äußere Gelegenheit der ersteren.
In den objektiven Allgemeinbegriffen haben die Suarez und Vasquez dem reflektierenden Verstande nun ein Operationsfeld erschlossen, auf dem sich bald und bequem allgemeine, ewige, notwendige Wahrheiten auch subjektiv begrifflich aneignen und anbeweisen lassen. Das singuläre So-Dasein in rerum natura beengt eine solche Verstandesoperation nicht mehr; ihm ist dadurch genügend Rechnung getragen, dass es zum okkasionell notwendigen Ausgangspunkt der Verstandestätigkeit erklärt worden ist. Suarez selbst hat wenigstens noch gewusst, dass sein Erkenntnisbegriff dem Nominalismus nahe steht{54}.
Diese Konfrontierung der Grundgedanken des hl. Thomas und des Suarez über das Wesen der Erkenntnis wird hoffentlich genügen, um allgemeiner erkennen zu lassen, wie unhaltbar oberflächlich die weit verbreitete Gewohnheit ist, die beim Beginn des siebzehnten Jahrhunderts in Europa maßgebende Schulphilosophie des Jesuitenordens für einen «im wesentlichen» treuen Thomismus zu halten. In der Theologiegeschichte haben die beiden Zweige der spanischen Spätscholastik ihre Verschiedenheit so breit und deutlich manifestiert, dass sie nicht gut übersehen werden kann, sobald nur einer hinsieht. In der Philosophiegeschichte aber laufen unter dem Sammelnamen «scholastischer Aristotelismus» noch immer gerne Dinge ineinander, die wohl auseinander zu halten sind, wenn nicht weitgehende historische Fehlurteile verewigt werden sollen.
Wie erklärt es sich nun, dass von der spanischen Spätscholastik nur die Schulrichtung der Disputationes metaphysicae erobernd in das nördliche Europa vorgedrungen ist, also dorthin, wo die den neuzeitlichen Geist zum philosophischen Bewusstsein erhebenden Gedanken der Descartes, Spinoza, Leibniz erlebt worden sind? Die oft erwähnte Willkür, mit der Scholastik im historischen Urteil wie mit einem einheitlichen und konstanten Faktor zu rechnen, hat dazu geführt, dass diese ideengeschichtliche Frage nicht hinreichend beachtet worden ist. Deshalb musste vor allem auf diese verhängnisvolle Fehlerquelle hingewiesen werden. Dass es gerade an dem Unterschied zwischen dem thomistischen und suarezischen [283] Erkenntnisbegriff versucht wurde, ist mit Bedacht geschehen. Was nämlich eine Schule über das Wesen der Erkenntnis selbst für wahr hält, das ist die eigentliche forma ihrer ganzen Doktrin; und aus der Geschichte der neueren Philosophie wird bekannt sein, wie das spezifisch neuzeitliche Denken in den erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen zwischen den Extremen: Rationalismus und Sensualismus, Dogmatismus und Kritizismus, Idealismus und Positivismus sich ausgewirkt hat.
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{47} S. über diese Generation die Angaben bei Léon Mahiéu, Franç. Suarez, Sa Philosophie et les rapports, qu'elle a avec sa théologie, Paris 1921, S. 17 f. und 21 ff. Über Cajetan insbesondere s. den ausgezeichneten Artikei von P. Mandonnet in Diction. de théologie cath. t. II, col. 1313-1329; über Javelli ebenda t. VIII, col. 535 s. Die Ueberweg III12 S. 626 genannte Schrift von P. Ragnisco, Della fortuna di S. Tommasso nella Universita di Padova durante il rinascimento (Padua 1893) stellte sich als eine ärmliche akademische Rede heraus.
{48} Dem menschlichen Verstande ist ebenfalls eine adäquate Erkenntnis des Einzeldinges möglich; aber nur in dem Falle und in dem Maße, als das menschliche Erkennen die Ursache dieses Dinges ist. Eine Maschine z. B. ist, soweit sie Produkt der Technik ist, durchaus aus dem letzten Grunde ihres So- und Nichtanders-Seins verständlich (intelligibel).
{49} Es braucht wohl nicht eigens bemerkt zu werden, dass im Vorstehenden nur die Grundzüge des thomistischen Erkenntnisbegriffs hervorgehoben sind. Die Stellen, wo Thomas ihn entwickelt, sind dem Fundorte nach bekannt genug; neben den loci classici in S. theol. p. I und Qu. disp. de Veritate sei hier hingewiesen auf: In Aristotelis librum de Anima, liber II, lect. 12 (in der Ausgabe von Pirotta, Turin 1925, nn. 375 ss.), lib. III, lect. 7 (nn 675 s.), lect. 8 (nn. 711 ss., 717 ss.), lect. 13 (nn. 791 ss.) und auf die wichtigen erkenntnistheoretischen Bemerkungen in der S. contra gent. 1. I. c. 50 ss., 1. II. c. 48, 75, 83, 98, 100 und 1. III. c. 80.
{50} Metaphysicae Disputationes, disp. VI, sect. 6, n. 7: «Simpliciter enim verius (sic!) est, speciem impressam ab intellectu agente non abstrahere a repraesentatione ejusdem individui repraesentati in phantasmate, sed solum a materialitate reali et entitativa ipsius phantasmatis, sine qua esse potest repraesentatio ejusdem individui quantumvis materialis: hanc enim non repugnat esse aut fieri per formam seu qualitatem aut entitatem spiritualem, ut in Angelis et in Deo ipso patet.» – Hier werden als Belege nur die Metaph. disput. herangezogen; die ausführlichste Behandlung der erkenntnistheoretischen Fragen bietet Suarez' Kommentar De anima. Er ist aber nach seinem Tode veröffentlicht worden, als die praktische Auswirkung seiner erkenntnistheoretischen Maximen in den Disput. Metaph. schon weithin auf den protestantischen Universitäten als maßgebend aufgenommen waren. – Bis heute fehlt noch eine ausreichende monographische Darstellung dieses für die Geschichte der neuzeitlichen Philosophie entscheidend wichtigen Erkenntnisbegriffs. Von den drei im Philos. Jahrbuch der Görres-Gesellschaft erschienenen Aufsätzen [M. Lechner, «Die Erkenntnislehre des Suarez», Bd. XXV (1912), S. 125 bis 150; Alo. Teixidor, «De universalibus juxta Suarez», ebenda S. 445-461; Heinrich Rösseler, «Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung und der Verstandeserkenntnis nach Suarez», Bd. XXXV (1922), S. 185-198] ist die zweite eine Apologie, keine Untersuchung.
{51} Metaph. Disput., disp. VI, s. 6, n. 5; vgl. s. 5, n. 2: «Dicendum itaque est unitatem universalem per intellectus functionem insurgere, sumpto ex ipsis rebus singularibus fundamento seu occasione». – Die Stellen über das rein dialektische Verhältnis von Sinnlichkeit und Verstand s. bei Rösseler, Die Entstehung der sinnl. Wahrnehmung und der Verstandeserkenntnis nach Suarez, a. a. O. S. 190 f.; z. B. aus de anima III, c. 2, n. 12: «est enim notandum, phantasma et intellectum hominis radicari in una eademque anima; hinc enim provenit, ut mirum habeant ordinem et consonantiam in operando...»
{52} Metaph. Disput., disp. VI, s. 6, n. 7: «... juxta veram sententiam species impressa neque est formalis imago neque ullo modo formaliter repraesentat, sed effective, quatenus est veluti semen seu instrumentum obiecti ad efficiendam formalem repraesentationem intentionalem, quae fit per conceptum mentis». Vgl. damit S. Thomas, de Veritate q. 11, a. 1, ad 5: «... Universales conceptiones, quarum cognitio est nobis naturaliter insita (d. h. die quidditas universalis rei materialis, das Intelligible, ist uns unmittelbar als primum cognitum mit dem Verstandesakt als solchem gegeben), sunt quasi semina quaedam omnium sequentium cognitionum.» Vgl. de Verit. qu. 10, a. 6, c. am Schluss. Aus der letzten Stelle geht klar hervor, dass es ein arges Missverständnis wäre, die von Thomas als «semina scientiarum» bezeichneten «conceptiones universales, quarum cognitio est nobis naturaliter insita», mit dem λόγοι σπερματικοὶ und den κοιναὶ ἔννοιαι der Stoa zu verwechseln.
{53} Der Ausdruck labricatio universalitatis disp. VI, s. 6, n. 12; vgl. ib. n. 10 und s. 7, n. 7; – über die Sache s. besonders disp. VI, s. 6, n. 5 und n. 10-12. Jacob Zabarella († 1589) hat den vereinzelt schon von früheren Logikern gebrauchten Ausdruck fabricare in Umlauf gesetzt zur Bezeichnung der logischen (!) Begriffsbildung; vgl. die Definition der Logik in De natura logicae 1. I, cap. 20 (Jacobi Zabarellae Patavini Opera logica, ed. 4, Coloniae 1602, col. 52): «Logica est habitus intellectualis instrumentalis ..., quae secundas notiones in conceptibus rerum fingit et fabricat, ut sint instrumenta, quibus in omni re verum cognoscatur et a falso discernatur.»
{54} Metaph. Disput., dip. VI, s. 2, n. 1: «Et merito reprehendendi sunt (sc. Nominales) quoad aliquos loquendi modos, nam in re fortasse non dissident a vera sententia. Nam eorum rationes solum tendunt, ut probent universalitatem non esse in rebus, sed convenire illis prout sunt objective in intellectu seu per denominationem ab aliquo opere intellectus; quod verum est, ut infra dicam.» - Noch deutlicher spricht die Stelle 1. c. s. 5, n. 4 unter Beziehung auf die Gegenargumente in s. 2, n. 6.