V
Gründe für das Vorherrschen der suarezischen Metaphysik auf den protestantischen Hochschulen
Karl Eschweiler: “Die Philosophie der spanischen Spätscholastik auf den deutschen Universitäten des siebzehnten Jahrhunderts” (1928)
§ 15. Um die Schnelligkeit zu bezeichnen, mit welcher neue Gedanken zu allgemeiner öffentlichen Geltung kommen, pflegt man zu sagen: Die Gedanken lägen in der Luft. Auf die Ausbreitung der jesuitischen Schulphilosophie über die protestantischen Länder kann wohl das Bild von dem In-der-Luft-liegen angewandt werden. Mit unsichtbarer und unwiderstehlicher Gewalt übertrug sich die Denkweise der neuen Scholastik in die Köpfe und auf die Katheder der protestantischen Universitäten in Deutschland und Holland. Diese Tatsache ist an sich schon, wie W. Gaß sagt, «auffallend genug»; erstaunlicher ist aber vielleicht noch die Schnelligkeit, mit der zumal die Disputationes metaphysicae des Suarez rezipiert worden sind. Das muss zunächst etwas heller beleuchtet werden, als es oben im Abschnitt II geschehen ist. Zu dem Zwecke seien hier einige der wichtigsten Lehrbücher, die den Entwicklungsgang des metaphysischen Unterrichts auf den protestantischen Hochschulen beurkunden, nach ihrer ideengeschichtlichen Stellung untersucht. [290]
Im Jahre 1604 veröffentlichte der Wittenberger Philosophieprofessor Jakob Martini unter dem Titel: Theorematum Metaphysicorum Exercitationes quatuordecim{62} eine Sammlung ausgeführter Thesen, über die unter seiner Leitung an der Universität Luthers und Melanchthons disputiert worden ist. Der Band bezeugt, mit welch überraschender Schnelligkeit Suarez durch seine Disputationes metaphysicae die deutschen protestantischen Artistenfakultäten erobert hat. Schon die Form der Darstellung und Stofferteilung in diesen Exercitationes bekundet, dass der eigentliche metaphysische Exerzitienmeister von Wittenberg weniger der Erbfolger des «kleinen Magisters Philippus», Jac. Martini, als der große spanische Jesuit gewesen ist. Die Anlehnung an den Aristoteles-Text, wie sie die überlieferte Kommentarform der durchgehenden Lectiones oder der einzelnen Quaestiones in libros Metaphysicorum bewahrt, ist fallen gelassen; statt dessen hält sich Martini an die freie Disposition der Disputationes metaphysicae, aus ihnen der Reihe nach die Fragen auswählend, die ihm wichtig oder zugänglich erschienen. Der Name des Suarez bleibt auffälligerweise zunächst etwas im Hintergrunde; er ist eben in dieser Metaphysik der wirkliche auctor und nicht bloß eine Fassadenautorität{63}. Soweit eine nicht vollständig durchgeführte Nachprüfung urteilen lässt, sind sämtliche Zitate und Namennennungen aus der alten Scholastik den Disputationes metaphysicae nachgeschrieben. Ebenso kommen alle Zitate aus Aristoteles und seinen griechischen Kommentatoren Theophrast, Alexander, Proclus schon bei Suarez vor. Martini hat sie aber nachgeschlagen und liebt es, sie im griechischen Original anzuführen. «Schema war Suarez, der den [291] Studenten von Martini neben Aristoteles und Fonseca an erster Stelle empfohlen wird»{64}. Immerhin ist eine gewisse Selbständigkeit, wenn man es so nennen will, in dieser Wittenberger Metaphysik hervorzuheben: Die Universalienfrage d. i. die Metaphysik der Erkenntnis, wird durchaus nach «Schema war Suarez» tradiert; der dem Spanier eigentümliche Nominalismus wird sehr treu, an den entscheidenden Punkten sogar wortgetreu nachgesprochen{65}. Merkwürdigerweise stockt aber die Nachfolge Martinis an der Stelle, wo die für die Universalienlehre grundlegende Abstraktionstheorie des Suarez folgen sollte. Anstatt mit dem Doctor eximius auszuführen, die species impressa intelligibilis, das «Ersterkannte» des Verstandes, sei das singuläre So-Dasein des materiellen Dinges, schwenkt Martini, ohne ein Wort der Begründung zu sagen, ab und betont auffällig, dass die Priorität des Universalen dem Verstande als solchem wesentlich sei. Er folgt hier mehr dem Eklektizismus des Fonseca; und es ist sogar wahrscheinlich, dass an diesem Punkte ausnahmsweise eine Gegenwirkung genuin thomistischer Überlieferung anzunehmen ist{66}. Aber es ist bei diesem vereinzelten Stocken geblieben; und vielleicht ist es nicht einmal durch philosophisch sachliche Erkenntnis hervorgerufen. Sonst hätte die thomistische Intellektustheorie nicht so unvermittelt neben der suarezischen Universalienlehre stehen bleiben können; und in allen anderen Fragen hat sich Jakob Martini hemmungslos dem Eindruck der Disputationes metaphysicae hingegeben. [292]
Einen Beleg dafür, wie früh die Metaphysik des Suarez auf Seiten der Reformierten aufgenommen worden ist, bietet Clemens Timplers Metaphysicae Systema methodicum vom Jahre 1604{67}. Diese Rezeption ist allerdings sehr drastisch secundum modum recipiendis vor sich gegangen. In dem Calviner hat sich der Strom des intellektuellen Praktizismus, der die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts zwischen den extremen Ufern der Ramistischen Rhetorik und der Instrumentallogik des Zabarella durchflossen hatte, gleichsam gestaut: Es sollte eine «erste Philosophie» erstehen, eine Grund- und Generalwissenschaft, welche über das bloß Dialektische hinaus das natürliche Universum aus allgemeinsten Seinsprinzipien heraus denkend beherrschen ließ. Bei Timpler haben die Disputationes metaphysicae das Stauwehr gezogen; sein Metaphysicae Systema methodicum ist ein alle Vorbehalte und Konnivenzen wegschwemmender Ausfluss des «praktischen Intellektualismus» der Jesuitenschule geworden. Suarez will einerseits daran festhalten, dass die Metaphysik das ens reale allein zum Objekt habe; gesteht aber andererseits zu, dass in gewissem Sinne auch das ens rationis in ihren Bereich falle, und er widmet ihm deshalb eine eigene, wenn auch die letzte seiner 54 Disputationes. Timpler hält sich an den von Suarez geäußerten Gedanken, dass die Dialektik das ens rationis nicht als solches und unter dem Gesichtspunkt des Seienden überhaupt, sondern nur insofern betrachte, als es eine Operation des Verstandes bedeutet; es muss also eine Wissenschaft geben, die es unter dem Gesichtspunkt des ens ut universalissimum betrachtet, –und das ist die Metaphysik. Aus diesem Gedanken schließt Timpler resolut: das ens rationis falle ebenso wie das ens reale unter das spezifische Objekt der Metaphysik u. zw. per se und nicht bloß obiter, wie Suarez behaupte. Demzufolge hat er seinem Systema methodicum ein eigenes Kapitel «De signo et signato» eingebaut{68}.
Die Logik wird von Timpler mit den Conimbricenses und der vorherrschenden Meinung als reine scientia practica bestimmt. Die thomistische These wird von Timpler nicht berücksichtigt; und die Ausführungen in den Disputationes metaphysicae waren ganz dazu angetan, die Tendenz des calvinischen Philosophen nicht zu stören. Während bei Suarez ganz unklar bleibt, wie er den Unterschied zwischen dem logischen und metaphysischen Formalobjekt mit seiner vermittelnden Auffassung von dem zugleich praktischen und spekulativen Charakter der Logik vereinigen kann, ist es Timpler trotz seiner ens rationis-Metaphysik [293] leicht geworden, die logische Praxis von der metaphysischen Spekulation zu unterscheiden. Er tut es übrigens mit denselben Gründen und denselben Reserven, mit denen Suarez die These behauptet: «Non est munus Metaphysicae tradere instrumenta sciendi»{69}. Nur darin weiß sich Timpler einsam gegenüber den «strengeren Peripatetikern», wenn er die Metaphysik unter die artes liberales einreiht. Doch die «Technologia», die er seinem Systema methodicum gleichsam als Einleitung vorausgeschickt, hatte den Begriffsumfang von ars so erweitert, dass alle geistigen actus und habitus darunter aufgenommen waren; ja der finis simpliciter ultimus des Menschen: «est gloria Dei per artes illustranda». Und so definiert er die Metaphysik als die «ars contemplativa, quae tractat de Omni intelligibili, quatenus ab homine naturali rationis lumine sine ullo materiae conceptu est intelligibile». Zum Unterschiede davon ist die Logik eine der artes operativae, eben die Denktechnik. Diese totale Technisierung der Erkenntnis (nicht bloß des Denkens) anno 1604 widerspricht zwar der Ausdrucksweise der Disputationes metaphysicae. Wenn aber Suarez selber an der Stelle, wo er die Metaphysik von der Logik abgrenzen will, die letztere einfach und ohne Einschränkung als eine ars, eine Technik bestimmt, die als solche den Zweck hat: «dirigere compositionem aliquam vel concentum», dann war es dem Sinne nach nicht so neu, die Metaphysik als ars contemplatrix der Logik als einer ars operatrix entgegenzustellen; zumal da Suarez den kontemplativen Charakter der Metaphysik nur als natürlich menschlichen Defekt gegenüber dem zugleich kontemplativen und praktischen Vorzug der übernatürlichen Theologie festhalten konnte und wollte. Der genuin aristotelische und thomistische und wahre Sinn der theoria war durch diesen «praktischen Intellektualismus» außer Kurs gesetzt worden{70}. [294]
§ 16. Es ist bemerkenswert, dass die calvinische Philosophie und Theologie des siebzehnten Jahrhunderts im allgemeinen die vermittelnde suarezische Form des «praktischen Intellektualismus» den Extra- (richtiger Ultra-)Vaganzen ihres eigenen Clemens Timpler vorgezogen hat. Im Todesjahr des großen spanischen Lehrers (1617) erschien das Opus Metaphysicum des Giessener Professors Christoph Scheibler in erster Auflage. Die Stellung Scheiblers ist kurz und bündig dadurch gekennzeichnet, dass ihm seine Glaubensgenossen schon bald den Titel «der protestantische Suarez» beigelegt haben. Alle Historiker, die sich mit der protestantischen Scholastik des siebzehnten Jahrhunderts beschäftigt haben, stimmen darin überein, dass dieses Opus Metaphysicum das am weitesten verbreitete Handbuch der Metaphysik gewesen und die Lehre des spanischen Jesuiten auf dem protestantischen Universitäten [295] zum stärksten Einfluss gebracht habe{71}. Nun hatten die Disputationes metaphysicae und ihre von Scheibler treu befolgte Epitome vor den Augen des Gisbert Voetius, des «berühmten und gelehrten Hauptes» des calvinischen «Präzisismus» in Holland, Gnade und Lob gefunden; Voetius zieht den Scheibler dem Timpler vor, empfiehlt aber seinen Theologiestudenten –selbstverständlich mit gewissen theologisch-konfessionellen Kautelen– von den Metaphysikern vor allen den Doctor eximius{72}. Wie fest und lebendig die Autorität des Suarez um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts im reformierten Holland gewirkt hat, beweisen überdies besonders zwei Bücher. Das 1640 veröffentlichte Kollegheft des oben schon erwähnten Philosophieprofessors in Leiden Franco Burgersdijk ist eine bereits auf Westentaschformat herabgesetzte Epitome der beiden Folianten des Suarez. Dieses Urteil gründet sich darauf, dass die Thesen Burgersdijks über die Aufgabe, das Objekt und die Einteilung der Metaphysik, über den Seinsbegriff, die Universalienfrage, die Lehre von der causa finalis und der Ursachentheorie überhaupt eine genaue Übereinstimmung mit den spezifisch suarezischen Thesen aufweisen{73}. Das andere Buch berichtet davon, wie die reformierte Theologie besorgt gewesen ist, dass die überragende Autorität des Suarez in der Philosophie auf dem theologischen Gebiete keine Schwierigkeiten verursache. [296] Es ist der Quartant des Leidener Theologen Jacob Revius: Francisci Suarez Soc. Jesu Theologi Disputationum Metaphysicarum Syllabus cum notis. Das Buch scheint mindestens zwei Auflagen erlebt zu haben{74}. Revius hebt die positiven Thesen des Suarez aus dem breiten und oft reichlich unübersichtlichen Beiwerk der Auseinandersetzungen mit entgegenstehenden opiniones sorgfältig heraus –daher die Bezeichnung Syllabus– und fügt jeder These seine Note bei. In welchem Geiste die Noten gehalten sind, hat Revius im Vorwort selber deutlich angezeigt. Das Werk sei unternommen worden, weil der berühmte Name des Suarez «non suos tantum sed e nostris non paucos ad sua velut castra pertraxerit»; dadurch hätten sich mit den guten Gedanken des Jesuiten heimlich auch seine schlechten in die reformierte Theologie einschleichen können: «Senserunt id magno suo malo ecclesiae nostrates in controversiis de Die praescientia, decretis, concursu, libero hominis arbitrio ac similibus, in quibus hic noster (sc. Suarez) a Scripturae, Patrum et sanioribus scholae placitis ita diversus abit, ac si Pelagianismo palam sacramentum dixisset»{75}. Die Ablehnung der suarezischen Metaphysik beschränkt sich also bei Revius auf die theologischen Kontroversfragen. In der Erkenntnistheorie und den eigentlich metaphysischen Fragen bekunden die notae des reformierten Theologen eine mit hoher Reverenz befolgte Jüngerschaft. Ja, Revius versäumt nicht im Vorwort sein kritisches Verhalten so zu salvieren: Wenn ihm der Vorwurf gemacht werden sollte, er sei dem Sinn des Suarez nicht ganz gerecht geworden, so möge man das bitte eo candore tun, «quo ego erga ipsum Suarezium usus sum, cujus et laudavi plurima et expolivi et a censuris aliorum, etiam ex nostris, vindicavi»{76}. [297]
Der lutherische Protestantismus bot seinem allgemeinen Habitus nach nicht eine solch geeignete puissance obédientielle zur Erhebung in die Metaphysik des «praktischen Intellektualismus», wie es beim Calvinismus der Fall war{77}. Und dennoch ist es –auffällig genug– Tatsache geworden, dass auch die lutherische Orthodoxie seit dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts vorwiegend von der Schulphilosophie des Jesuitenordens, u. zw. ausschließlich von ihren spanischen Meistern, beherrscht worden ist. So ist es nicht nur, wie oben im § 7 erwähnt wurde, die konstante Überlieferung der älteren protestantischen Geschichtsschreibung; die neueren Forschungen haben sie bei näherem Zusehen nicht umstoßen, sondern nur in dem einen Punkte ergänzen können, dass die Rezeption der suarezischen Metaphysik weniger eine mechanische Umschaltung, als eine lebendige Erfüllung bodenständiger Denkbedürfnisse gewesen ist. Um die Wende des sechzehnten zum siebzehnten Jahrhundert zeigen sich im Luthertum nur ganz vereinzelte und geschichtlich unwirksame Versuche, dem eigenartigen Aristotelismus der Jesuitenschule theoretisch wissenschaftlichen Widerstand zu leisten; es wird auf sie noch hinzuweisen sein. Der bloße Gefühlsprotest dagegen, der um diese Zeit, von dem Helmstädter Daniel Hofmann († 1611) aufgeweckt, gegen die neue Philosophie vorgetragen wurde{78}, musste in die Luft verpuffen; ihm waren die Disputationes metaphysicae entlegen und ihr Siegeszug konnte auf solche Weise höchstens verzögert, aber nicht verhindert werden. Noch ehe das Opus Metaphysicum Chr. Scheiblers, dieser Triumphwagen des papa metaphysicorum –um zeitentsprechend barock zu reden– anno 1617 auf die Bahn gesetzt wurde, war der Doctor eximius bereits seit fünfzehn Jahren durch Jakob Martini an der Universität Luthers und Melanchthons empfangen worden. Dasselbe wird für das Jahr 1606 von Rostock bezeugt{79}. Es wird noch Gelegenheit sein darauf hinzuweisen, in [298] welchem Maße sich die Schulphilosophie der Jesuiten im lutherischen Deutschland des siebzehnten Jahrhunderts zur Gang-und-Gäbe-Philosophie befestigt hat. Als Samuel Puffendorf im Proömium seines 1672 erschienenen Hauptwerkes De jure naturae et gentium einen Angriff auf die herrschende Scholastik wagte, stieß er noch auf heftigsten Widerstand und hätte es beinahe am seinem Leibe büßen müssen. Besonders seine theologischen Kollegen an der Universität Lund in Schweden und in Jena schlugen Lärm. Der Jenenser Valentin Velthemius nahm einen Promotionsakt zum Anlass, um gegen die Widersacher der rezipierten Scholastik, namentlich gegen den, «qui novissime opus de jure Naturae conscripsit», in folgenden denkwürdigen Redewendungen aufzutreten: «Vos venerandi mei Praeceptores Theologi, vos inquam rogo, vos obtestor, eloquamini, per Deum eloquamini, an Moralistarum princeps Thomas, Metaphysicorum papa Suarez, Molina, Vasquetz, Valentia, Conimbricenses, Sanchietz et beatus Stahlius noster, Scriptores aeternitate dignissimi, nugas tumtaxat ventitaverint»{80}. Dieses Zeitdokument spricht deutlich genug; besonders ist die Belehnung des hl. Thomas mit dem Fürstentum der Moralisten ein Zeichen, wie es tatsächlich um den Thomismus jener Neoscolastici steht, die nach der auf protestantischer wie auf katholischer Seite in Deutschland geläufigen Vorstellung «im wesentlichen» treu im Geiste des Aquinaten gedacht haben sollen.
§ 17. Es ist kein Zweifel, um diese einzigartige Vorherrschaft der Schulphilosophie des Jesuitenordens während des siebzehnten Jahrhunderts historisch zu erklären, wird man mit der positivistischen Geschichtsmethode nicht auskommen; hier liegt eine der schwierigsten und wichtigsten Fragen vor, die um das Problem von dem Werden und [299] Wesen dessen, was «neuzeitlicher Geist» genannt zu werden pflegt, kreisen. Ernst Tröltsch ist bekannt als jener große Historiker, der wie kein anderer dieses Problem deutlich gesehen und an seiner Lösung gearbeitet hat. Das kommt schon in seiner oft erwähnten Monographie über Johann Gerhard und Melanchthon zum Ausdruck. Hier war er vor die auffällige Tatsache gestellt, dass die Erbfolger Luthers so rasch und allgemein die neue Scholastik der Jesuitenschule aufgenommen haben. Tröltsch bringt folgende Erklärung:
Die neue Metaphysik habe zunächst nicht direkt etwas mit Theologie zu tun; sie sei zudem ihrem eigentlichen Sinne nach nur als «ein zweckmäßiges Mittel des wissenschaftlichen Betriebes überhaupt» zu verstehen. «Sic ist nämlich nicht etwa eine übersinnliche Spekulation, sondern lediglich ein schematisierender ´Ontologismus´, der alles Sein, das einfache und das zusammengesetzte, rein in abstracto nach den Affektionen des Seins beschreibt und so eine für alle konkreten Erscheinungen des Seins gleich brauchbare Tafel der Affektionen und Relationen darbietet, aus welcher jederzeit die nötigen Kategorien zur Behandlung eines beliebigen Dings entnommen werden können. Sie ist daher die Grund- und Generalwissenschaft, die alle anderen ebenso im Keim enthält, wie in ihrem Begriff des Dings alle wirklichen Dinge schon enthalten sind, das große Fachwerk, in welches alle Disziplinen und die von ihnen befassten Gegenstände bequem und reinlich eingestellt werden können, das Urschema aller anderen Schemata, die erst aus ihm die Garantie ihrer unfehlbaren Richtigkeit empfangen und doch als rein formale Schemata der reinen Dinglichkeit dem Inhalt, vor allem auch dem theologischen, schlechterdings nichts präjudizieren». « Es leuchtet ein, wie günstig diese neue Wissenschaft, diese Erweiterung des Aristotelismus, bei der Ungefährlichkeit ihres rein formalen Charakters und bei der unglaublichen Bequemlichkeit, mit der sich alles in ihr einregistrieren und doch zugleich auch jede Detailbehandlung schematisieren ließ, den Bedürfnissen des Zeitalters entgegen kam. Nachdem sie einige Zeit in Altdorf (?) isoliert gewesen war, eroberte sie in ihrer bequemeren jesuitischen Fassung rasch alle philosophischen Fakultäten und eine Flut von Kompendien und Substanzentabellen ergoss sich über den Büchermarkt, wobei der Scharfsinn der Verfertiger sich in neuen Nüancen und Titeln wie Pantologie, Noologie, Gnostologie, Ontosophie usw. erschöpfte»{81}. [300]
Die Bezeichnung der neuen Metaphysik als «unglaublich bequemer Wissenschaft» ist durch die zeitgenössische Benennung disciplina necessaria et utilissima zu ersetzen; und dann ist freilich das Charakterbild, das Tröltsch von dem «praktischen Intellektualismus» entworfen hat, das Zeugnis für ein Historikerauge, in dessen Licht der geschichtliche Stoff in seltener Klarheit sein intelligibles Wesen offenbart hat. Was Tröltsch vor sich hatte, waren zunächst nicht die Fonseca und Suarez, sondern ihre Epigonen auf den protestantischen Artistenfakultäten. Die Umstellung der thomistischen und wahren Erkenntnisordnung auf eine fabricatio universalitatis, die Einbeziehung des Formalobjekts der Logik, des ens rationis, in die metaphysische Objektivität, das sind einige der neuen Schulprinzipien, die sich bei den von Überlieferungsrücksichten weniger gehemmten Schülern in diesen systematisierenden und schematisierenden Formalismus des Barockdenkens ausgewirkt haben. So wird es verständlich, warum gerade der jesuitische Zweig der spanischen Spätscholastik zur philosophisch wichtigsten Vorbedingung eines Zeitgeistes werden konnte, der den «Geist» im Menschen als das ganz Andere der «Natur» erlebte und, ihn aus der objektiven Ordnung des wirklichen Universums herauslösend, um so eifriger darauf bedacht sein musste, die ins chaotisch Unintelligible zerfallende Wirklichkeit in rerum natura wenigstens als klare Begriffsordnung und herzustellende Universalität in die Gewalt zu bekommen. Tröltsch hat richtig gesehen; die neue Schulmetaphysik ist «nicht etwa eine übersinnliche Spekulation, sondern lediglich ein schematisierender ´Ontologismus´»; das gilt auch von ihrem großen Archityp, von den Disputationes metaphysicae, wenn unter «übersinnlicher Spekulation» das wesentliche Ziel der menschlichen Erkenntnis, die reine Theorie des intelligiblen Seins, und unter «schematisierendem Ontologismus» die fabricatio universalitatis zu den sogenannten conceptus objectivi verstanden wird. Man braucht sich bloß zu erinnern, was oben über die prinzipielle Verschiedenheit zwischen dem thomistischen und suarezischen Erkenntnisbegriff ausgeführt worden ist, um den entscheidenden Grund zu erkennen, warum der genuine Thomismus in der spanischen und italienischen Spätscholastik von dem siebzehnten Jahrhundert nicht rezipiert worden ist. Sein reiner Intellektualismus war eben nicht «zeitgemäß».
§ 18. In dem prinzipiellen Habitus des «praktischen Intellektualismus» liegt auch der entscheidende Erklärungsgrund dafür, warum die lutherischen Theologen so auffallend häufig ihren Anschluss an die Schulphilosophie des Jesuitenordens mit der Bemerkung gleichsam entschuldigt haben, die Bedürfnisse der Disputation mit den Pontificii nötigten dazu. Denn es ist keineswegs bloß eine Vermutung v. Elswichs gewesen, die Rezeption der suarezischen Metaphysik sei von den Bedürfnissen [301] der theología polemica gefordert worden. So bekunden es die Vertreter der scholastischen Orthodoxie vielmehr auch selbst, schon in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts.
Auf das Zeugnis Johann Gerhards hat sich bereits v. Elswich berufen{82}: und Georg Horn, der Historiograph der Zeit, berichtet in seinen Historiae philosophicae libri septem, die 1655 in Leiden erschienen sind, dass viele Orthodoxe (Protestanten) aus keinem anderen Grunde die in Italien und Spanien gezüchtete aristotelische Philosophie angenommen hätten, «quam quod absque ea non posse cum Jesuitis recte disputare videant»{83}. Und als Puffendorf seinen Vorstoß gegenüber der sehr heftigen Reaktion der lutherischen Theologen zu verteidigen hatte, fängt er den Gegenangriff des Valentin Velthemius so auf: Wenn Velthemius an die Kollegen von der theologischen Fakultät appelliere, so sei das verständlich, besage aber nicht viel. Denn diese hätten freilich Grund, die scholastische Theologie nicht geringschätzig zu behandeln, «quippe absque qua negant se cum Pontificiis disputare posse». Seine Aufgabe aber sei nicht zu disputieren, «sed jus omnibus gentibus commune tradere ex principiis ad omnium hominum captum accommodatis»{84}.
Die berühmte Conjectura v. Elswichs, die Erfahrungen auf dem Regensburger Religionsgespräch vom Jahre 1601 seien die Ursache für die Aufnahme der neuen Metaphysik gewesen, kann gewiss nicht als hinreichende historische Erklärung hingenommen werden; so einfach und mechanisch kausal pflegt es in der Ideengeschichte nicht vor sich zu gehen{85}. Aber nach den angeführten Zeugnissen, die mehr gelegentlich [302] gesammelt als gesucht worden sind, geht es auch nicht an, in dem Eifer, womit neuerdings jene harmlose «Vermutung» widerlegt worden ist, sich so weit treiben zu lassen, dass die Bedürfnisse der theologia polemica überhaupt nicht mehr in ihrer Bedeutung für die Ausbildung und Ausbreitung der katholischen wie der protestantischen Barockscholastik gesehen werden. Es ist nicht zufällig, dass die mittelalterliche Quaestio damals sogar als Titel außer Gebrauch gekommen und durch die Bezeichnung Disputatio ersetzt war. Die Disputatio bezeichnet eine Denkübung, eine Denktechnik; Disputieren ist kein Erkennen; es ist auch nicht wie das Fragen ein Weg dazu. Der Disputant hat das theoretische Fragen und Erkennen schon hinter sich; er stellt eine These auf. Damit nun eine Disputation überhaupt möglich sein soll, ist zu der thetischen opinio mit formaler Notwendigkeit wenigstens eine antithetische opinio erforderlich. Das wesentliche Ziel der Disputation ist nun, recht zu behalten, die Wahrheit der These allein dadurch zu beweisen, dass alle Gegeninstanzen als denkwidrig abgefertigt werden. Es dürfte nun aber einleuchten, welch besonderen Wert die ars disputandi in einem Denken besitzen musste, dem das Formalobjekt der geistigen theoria schon ein vom menschlichen Verstande produzierter Begriff (conceptus objectivus der Suarez und Vasquez) und dem das wesentliche Ziel alles Erkenntnisstrebens als Erkenntnistätigkeit die Bildung von klaren Begriffen und zwingenden Schlussfolgerungen geworden war. Es würde sich lohnen, die Eigenart des neuen Denkens und seinen Siegeszug an der Entwicklung zu verfolgen, welche die Form der konfessionell theologischen Auseinandersetzung seit dem Reichstage zu Worms durchlaufen hat.
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{62} Vollständig lautet der Titel: ... Exercitationes quatuordecim continentes universam Metaphysicam in formam scientiae compendiose redactam, in duas partes tributam, veris praeceptis et Theorematibus comprehensam, acutissimis etiam quaestionibus tam reliquarum Facultatum quam Philosophiae studiosis lectu scituque et necessariis et jucundis explicatam. In inclyta Witebergensium Academia ad disputandum proposita a M. Jacobo Martini, Sax. Logices Professore publico etc. Witebergae 1604. Die Seiten der Sammlung sind nicht beziffert. Die einzelnen Exercitationes haben besondere Titelblätter und sind, mit Ausnahme der letzten, schon 1603 in Wittenberg gedruckt.
{63} Erst in der Exerc. secunda, Theorema 9, n. 4 tritt der Name Suarez auf, und zwar in einer Weise, die von der bloßen Autoritäten-Zitation merklich abweicht: «Hinc Suarez tale ponit discrimen inter conceptum formalem et objectivum» etc.; vgl. ib. n. 8: «Secunda ratio eleganter ponitur a Suarez his verbis ...» Die betreffenden Stellen aus den Disputationes Metaphysicae (beide aus der disp. II.) werden nicht bezeichnet. Diese Zitierweise kommt auch in den folgenden Exercitationes noch häufig vor; z. B. Exerc. sexta, Theorema 8, n. 12: «Deinde (ut retineam Verba Suarez) Universale ut universale ...»; zwei Quartseiten vorher wird deutlich auf disp. 6 Metph. (so, ohne Namennennung!) s. 2, n. 9 und n. 12 verwiesen, während das erwähnte unbezeichnete Zitat sich disp. VI, sect. 2, n. 1 findet. Schon diese Zitierweise verrät, wer der erste Autor dieser Wittenberger Metaphysik ist.
{64} Peter Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland, Leipzig 1921, S. 290. – Sonderbar ist, dass Petersen trotzdem den deutschen Druck der Disputationes metaphysicae erst auf Mainz 1614 datiert; es geschieht vermutlich im Anschluss an Dan. Georg Morhofius, Polyhistor usw. 3. Aufl., p. 97.
{65} Vgl. 1. c. Theorema octavum, n. 7: «Unde colligitur, quod in Theoremate positum est: Unitatem universalem non esse ante mentis operationem neque in rebus ipsis invenire, sed per intellectus functionem insurgere, sumpto fundamento sive oceasione ex ipsis singularibus» – mit der oben (Anm. 51, S. 279) aus Disp. metaph. disp. VI zitierten Stelle.
{66} Exerc. sexta, Theor. 9, n. 18-25; womit Disp. Metaph. disp. VI, s. 6, n. 7 zu vergleichen ist. Den thomistischen Erkenntnisbegriff hatte Jac. Martini in außerordentlich reiner und klarer Ausführung nahe bei der Hand in Hieronymi Savonarolae Ferrariensis, O. P., Universae Philosophiae Epitome. Ejusdem de divisione, ordine atque usu omnium scientiarum ... opusculum quadripartitum. Opera Johannis Jessenii a Jessen, Witebergae 1596; vgl. hier bes. p. 506-517 mit der aus Martini zitierten Stelle. Diese Ausgabe der philosophischen Schriften Savonarolas (Italiae Lutheri, wie die epistola dedicatoria Jessens ihn empfiehlt) wird von Martini häufig zitiert; z. B. Exerc. prima, Theor. 3, n. 1; Theor. 4, n. 1; Theor. 6, n. 2. (Ob das in der Wittenberger Ausgabe abgedruckte Opusculum quadripartitum echt ist?) – Zu beachten ist ferner, dass i. J. 1596 die Quaestiones Joannis Versoris in primam Aristotelis philosophiam in Wittenberg neu gedruckt worden sind; Versor lehrte in Köln, und dort hat der Nominalismus, soweit bekannt ist, keinen großen Einfluss gewinnen können.
{67} Vor mir liegt die zweite Ausgabe: Clementis Timpleri Metaphysicae Systema methodicum libris V. per theoremata et problemata selecta concinnatum etc. In calce addita sunt Scholia clar. et. acut. Philosophi Domini Rodolphi Goclenii publice ab illo in Acadmia Marpurgensi dicata. Hanoverae 1606.
{68} Das Schwanken des Suarez, Disp. Metaph. disp. I, sect. 1, besonders n. 2 und 5; die dem entsprechende Stellungnahme Timplers, l. c. I. 1, cap. 3, qu. 6-8 (= p. 32-35); das Kapitel «De signo et signato», I. 3, cap. 4 (= p. 313-338).
{69} Suarez, disp. I, sect. 4, n. 24-30; Timpler, I. 1, cap. 1, qu. 9 (= p.14 s.). Die zumal von den Conimbricenses vertretene Auffassung über die wesentlich praktische Natur der Logik bei Suarez, l. c. n. 30; vgl. n. 25: «Dialecticae proprium munus est sciendi modum tradere, quod non aliter facit, nisi docendo instrumenta sciendi et eorum vim et proprietates». Die mit dem letzten et eingeleitete Einschränkung ist in n. 26 so ausgeführt: «Nam (Dialectica) etiam a priori demonstrat, cur recta definitio et argumentatio tales condiciones et proprietates requirunt et similia; tum etiam quia alias non satis esset Dialectica ad scientiam acquirendam, sed oporteret etiam Metaphysicam praemittere, quod est plane falsum et contra omnium sensum et usum». Also darum muss die Logik nach Suarez außer ihrem eigentlichen und nächsten praktischen Zweck zugleich eine spekulative Aufgabe erfüllen, weil sie sonst durch Metaphysik ersetzt werden müsste. Dieser Grund war kaum geeignet, einen Timpler bedenklich zu stimmen. Eine heute noch instruktive Darlegung der Lehre des hl. Thomas über den rein spekulativen Charaleter und das Formalobjekt der logica docens bietet Collegium Complutense Philosophicum, tom. I. (Franfurt a. M. 1629) disp. I, qu. 4-8 (= p. 67-84).
{70} Der geschichtlich merkwürdige Titel der «Technologie» lautet vollständig: Clementis Timpleri Technologia seu tractatus generalis de natura et differentiis artium liberalium; die gloria Dei als schlechthin letztes Ziel aller techne in Theorem 9. der technologia. – Die Metaphysik als ars in Metaphysicae Systema methodicum I. 1. c. 1, qu. 3 (p. 4 ss.) und qu. 12 (p. 17 s.). – Suarez über die Dialektik (Logik) als ars s. disp. 1, sect. 4, n. 30; über das Defektive des bloß spekulativen Charakters der Metaphysik ib. sect. 5, n. 5. – Ein anderer Punkt, an dem zutage liegt, wie Timpler das Praktische in dem «praktischen Intellektualismus» des Suarez betont und fortführt, ist die Frage: an Metaphysica «sit disciplina necessaria et utilis»; vgl. Timpler, l. c. I. 1, c. 1, qu. 8 (p. 12 ss.) mit Suarez, disp. 1, sect. 4, n. 3-4. – Peter Petersen (Geschichte der aristotelischen Philosophie usw. S. 287) bemerkt über das Verhältnis Timplers zu Suarez: «Auch er benutzt die Ausleger (sc. des Aristoteles) aller Zeiten nach freiem Belieben, vor allem Zabarella, Fonseca und Suarez. Dennoch führt ihn der Weg nicht zu einem System nach Art des von Suarez errichteten, wesentlich auf Thomas ruhenden; sondern er baut auf den Leistungen der deutschen Altaristoteliker auf.» Dieses Urteil hält einer näheren Prüfung nicht stand. Zunächst übertrifft die Berufung auf Suarez schon äußerlich, der Zahl der Zitationen nach, bei weitem die Anführungen von Fonseca, Scaliger, Taurellus, Goclenius und Zabarella. Des Suarez Name allein wird in der Regel abgekürzt zitiert, meistens mit den Anfangsbuchstaben F. S., zuweilen sogar bis auf ein kleines s abgekürzt. Wichtiger ist jedoch, dass Suarez bei Timpler gerade dort als wirklicher Autor auftritt, wo die erkenntnistheoretisch und metaphysisch grundlegenden Fragen erörtert werden; s. besonders 1. 2, c. 7 De veritate et falsitate (p. 149-168). Damit soll nicht die Selbständigkeit Timplers bestritten werden; Petersen hat sie mit Recht betont. Aber das Selbständige dieses Denkers liegt eben durchaus in der Richtung des Neuen und Eigentümlichen, das die Disputationes metaphysicae noch mit Bedenklichkeiten eingehüllt vortragen. Wo Timpler kritisierend über Suarez hinausgeht, da ist er alles andere als «Altaristoteliker» im Sinne der «philosophia Altdorfina». Was endlich das «wesentlich auf Thomas ruhende System» des Suarez angeht, so vgl. die Kritik des Scholastikbegriffes Petersens unten in § 26. Die praktisch logizistische Richtung, welche die Philosophie im deutschen Calvinismus gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts eingeschlagen hat, wird klarer zutage treten, wenn das Schrifttum des Rudolf Goclenius durchforscht ist. – Über die Auffassung der Metaphyik als «ars communis» vgl. übrigens die merkwürdige Äußerung des Suarez, l. c. disp. I, s. 2, n. 23.
{71} S. Petersen, a. a. O. S. 289 ff. Der «protestantische Suarez» ebenda S. 290, und Emil Weber, Die philosophische Scholastik usw. S. 25. – Vgl. das lehrreiche Zitat aus dem «Deutschen Lucian» des Balth. Schuppe bei Petersen, S. 289 f.: «Nachdem sich Schuppe zuerst mit dem Collegio Conimbricensi und mit Ruvio (Rubio) und Suarez herumgeschlagen, hat er –von einem Freunde auf «den einigen Scheiblerum, der ist perspicuus» aufmerksam gemacht– sich vorgenommen, keinen Morgen das Haus zu verlassen, ehe er nicht "zehn Blätter in octavo" aus dessen Opus metaphysicum answendig gelernt habe: "ich meinte, zehn Blätter aus dem Scheibler auswendig zu lernen, das wäre besser als zehn Kapitel in der Bibel zu lernen und zu behalten".»
{72} S. Buddeus, Isagoge hist.-theologica etc. (2. Aufl. 1730) p. 230 s. – Über Voetius s. Ernst Tröltsch, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit (Die Kultur der Gegenwart 1. Teil, Abt. IV 1, zweite Hälfte) 2. Aufl., Leipzig 1922, S. 672. Ebenda S. 526 die erstauntliche Beobachtung Tröltschs: «Hier wie in der ganzen planmäßigen geistlichen Erziehung zur Ehre Gottes berührt sich der Calvinismus mit dem Jesuitismus; nur liegt in beiden Fällen die Ehre Gottes auf verschiedenem Feld»; vgl. S. 520.
{73} Franconis Burgersdici Institutionum metaphysicarum libri duo. Opus posthumum. Leiden 1640. Die Übereinstimmung von Burgersdijk mit Suarez in den angegebenen Lehren ist leicht an Hand der Indizes nachzuprüfen. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass die Lehre von der Sünde und von der Freiheit des Willens gegenüber Gott Differenzpunkt sind. Wie sehr man gleich darauf bedacht war, die Begeisterung für die ganz frische Metaphysik jederzeit aus der Westentasche nähren zu können, bezeugen die Compendia des Herborner Reformierten Joh. Heinrich Alsted: Metaphysicae brevissima delineatio, Herborn 1611 (63 Seiten in 240) und Metaphysica, tribus libris tractata, Herborn 1613 (283 Seiten in 240).
{74} Die vorliegende ist Lugduni Batavorum 1654 datiert, das Vorwort aber vom Jahre 1643. Petersen zitiert a. a. O. S. 308 von Jac. Revius einen «Suarez repurgatus», Lugduni 1649.
{75} L. c. Vorwort p. VII (nicht beziffert); in unmittelbarer Fortsetzung heißt es weiter: «Et facile propagatur haec labes in tot Metaphysica Compendia, quorum auctores hunc fere scriptorem sibi imitandum aut potius compilandum proponunt, idque tanta securitate, ut (quod festive in alia re dicebat Caesar Scaliger) congerant in horrea sua simul cum frugibus etiam scarabaeos cum suis tabernaculis, dum omnia converrunt sine vanno et cribro». Auch was die Disputationes metaphysicae, über die Trinität, die Inkarnation, die visio beatifica, die Ähnlichkeit der Engel mit Gott gelegentlich vorbringen, hat bei den reformierten Tbeologen Kopfschütteln erregt.
{76} L. c. Vorwort p. V; ebenda zitiert Regius das Encomion, welches Roderich von Arriaga im Prooemium seines Cursus philosophicus (1. Auflage Antwerpen 1632) dem Gigas Franc. Suarez und dessen «aureis illis duobus in Metaphysicam tomis» dargebracht. Doch Regius ist um seiner Kirche willen entschlossen, es mit diesem Gigas aufzunehmen: «imo ipso hoc Arriaga teste, qui tot ei stigmata inussit». Dabei ist zu beachten, dass der Cursus philosophicus des Roderich von Arriaga trotz der von Revius bemerkten «tot stigmata» auf Suarez und entgegen einer verbreiteten Meinung (vgl. z. B. Menéndez y Pelayo, La ciencia Española, t. I, p. 65) eine über Petrus Hurtado de Mendoza gehende, durchaus genuine und strenge Fortführung der Prinzipien darstellt, die in den Disputationes metaphysicae grundgelegt sind. Die Belege dafür hoffe ich bald in einer Monographie über Arriaga vorlegen zu können.
{77} De Backer-Sommervogel (tom. VII, p. 1665) notiert eine Ausgabe der Disputationes metaph., die 1636 in Genf erschienen sein soll. Sie war nicht aufzutreiben; darum konnte nicht festgestellt werden, ob sie vielleicht mit den Reformierten etwas zu tun hat.
{78} Petersen, a. a. O. S. 263-270; vgl. ebenda S. 521 ff. die kuriose Spotthymne auf die Metaphysik: Genuina Philosophi spurii, imprimis Metaphysici, Imago, penicillo philosophico adumbrata, Berlin 1603. Der Wittenberger Jakob Martini war ein Hauptobjekt dieser Angriffe.
{79} Die häufig zitierte, leider ziemlich vage Stelle aus G. G. Guhrauer, Joachim Jungius und sein Zeitalter, Stuttgart 1850, S. 12 lautet in ihren hier wichtigeren –meist nicht zitierten– Sätzen: «Jungius hörte die scholastischtische Philosophie bei Joh. Slekerus nach Suarez, den er fleißig studierte ... Jungius disputierte unter seinem (des Slekerus) Vorsitz zweimal, zuerst De naturali Dei cognitione, späterhin De potentia activa, verteidigte auch in den darauf folgenden Jahren (so!) 1607 im November verschiedene Thesen.»
{80} Samuel Pufendorf, De jure naturae et gentium, ed. Nova Frankfurt a. M. 1716, Apologia (als Anhang mit eigener Paginierung) p. 180. – Die Rede Veltheims scheint nicht verbreitet gewesen zu sein; denn Pufendorf sagt von ihr, sie hätte einen Platz in den Sammlungen absonderlicher Academica verdient, und bemerkt: «ut erudito saeculo salivam moveamus, locum ex illa declamatione adducemus»; l. c. – Karl Werner, Franz Suarez usw. 2. Bd., S. 258, führt den Redepassus nach dem verflachenden Referat des Pufendorf-Biographen Hartewig an; in dieser Form ist er schon öfter aus Werner zitiert worden. Werner erwähnt a. a. O. S. 257 aus Hartewig weiter, dass Pufendorf sich auch zu wehren hatte gegen seine theologischen Kollegen in Lund, die ihn u. a. des «Papismus» verdächtigten und trotzdem das neue jus naturae in einem feierlichen Beschluss verwarfen, damit die Moral der S. Thomas, Suarez, Vasquez, Sanchez, Molina, Durandus, Bonacinas, de Escobar unversehrt bewahrt werde. – Über die Stellung des von Veltheim mitgerühmten Stahlius noster († 1654) s. Petersen, a. a. O. S. 291 ff.
{81} Ernst Tröltsch, Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon, S. 107 u. 110; vgl. den ganzen Abschnitt S. 106-110. – Das Fragezeichen, womit wir die Bemerkung Tröltschs über die Altdorfer Schule versehen haben, wird im folgenden (s. Paragraph 19) begründet. – Zu beachten ist, dass Tröltsch den Ausdruck «Ontologismus» in Anführungszeichen setzt, damit andeutend, dass er ihn in dem besonderen, Karl Werner (Der hl. Thomas usw. 3. Bd., S. 515 f.) entnommenen Sinne verstanden wissen will.
{82} Für Joh. Gerhard s. Tröltsch, a. a. O. S. 103. – Emil Weber, Der Einfluss der protestantischen Schulphilosophie auf die orthodox-lutherische Dogmatik, Leipzig 1908, S. 144, zitiert von dem Freunde Gerhards Balth. Meißner († 1626) das bezeichnende Wort: «Videamus, ne illis vocum mutationibus ipsam puriorem doctrinam amittamus et, dum paulatim terminis Jesuwitarum assuescere volumus, tandem incauti et nihil hujus timentes haereticam ipsam doctrinam sub terminis istis occlusam tacite imbibamus.»
{83} L. c. 315; vgl. auch den Ausspruch, den Ernst L. Th. Henke (Georg Calixtus und seine Zeit, 2. Bd. 1. Abt., Halle 1855, S. 185 f.) von Calixt referiert: «Die Katholiken wendeten viel mehr Fleiß auf diese Hilfswissenschaften (d. i. die Philosophie und insbesondere die Metaphysik) als die Protestanten und könnten deshalb ihre Irrtümer viel besser verteidigen als diese sie widerlegen.»
{84} Sam. Pufendorf, l. c. (s. Anm. 80, S. 298) p. 181.
{85} Über den Gegenstand dieses Colloquiums s. Tröltsch, a. a. O. S. 28 ff.; eine nähere Kritik der Conjectura v. Elswichs an Hand des unmittelbaren Schrifttums über das Colloquium gibt Petersen, a. a. O. S. 278. Eine Nachprüfung des Gesprächsprotokolls ergibt, dass Cornel Martini von Helmstedt, der nach Tröltsch (a. a. O. S. 111) als philosophischer Fachmann nach Regensburg abgeordnet worden sein soll, nicht als Colloquent auftritt, und dass die vierte Gesprächsregel: «die Grundfest vnnd beweisungen inn einen Syllogismum (Schlussred) einzuschließen», auch von der protestantischen Partei weitgehend befolgt worden ist; besonders zeigt Hunnius, dass die Schule Melanchthons nicht nur in der dialektischen Praxis eingeübt, sondern sogar einen bemerkenswerten Vorrat von Kenntnissen über die Dialektik vermittelt hat. – Colloquium oder Gespräch Von der Richtschnur Christlicher Lehr und dem Richter aller Stritt und Zwispalt in Religions- und Glaubenssachen ... gehalten zu Regenspurg im Monat Novembri, im Jahr Christi 1601. Aus dem glaubwürdigen, von beiderseits verordneten Commissarien ... besiegelten Original ... ins Teutsch versetzt durch Georgium Ganglern ..., Lauingen 1602; – zu der Technik des Hunnius vgl. z. B. S. 109, 124.