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Gustavo Bueno

Holismus

[Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.), Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1990. II: 552-559.]




1. Der Terminus Holismus wird von griech. holon (das Ganze) abgeleitet und beinhaltet ein Programm oder 'Manifest' philosophischwissenschaftlichen Charakters, das die Notwendigkeit proklamiert, die 'Totalitätsperspektive' systematisch einzunehmen, um überhaupt ein echtes Verständnis von irgendwelchem Prozeß oder Struktur zu erlangen. Der Terminus Holismus wurde von Jan Christian Smuts geprägt, und zwar in seinem Buch Holism and Evolution (1926). Diejenigen, die das holistische Programm als ein ideologisches interpretieren (konkreter gesagt: als ein Kapitel in der Entwicklung der totalitären Ideologie, verbunden mit gewissen politischen Strömungen unseres Jh. rassistischer oder faschistischer Prägung), werden gewiß den Umstand nicht als irrelevant betrachten, daß J.C. Smuts (1870-1950) ein bekannter Politiker und Armeegeneral der Südafrikanischen Union war. Doch auch wenn man die These der Verbindung zwischen den totalitären Ideologien und dem Holismus nicht gänzlich ablehnt, scheint es keinen Grund für die Aufstellung der umgekehrten These zu geben, nämlich die der ständigen Verflechtung zwischen dem Holismus und den totalitären Ideologien im Sinne des politischen Rassismus; dies aus dem einfachen Grund, weil der Begriff Totalität keine ein-, sondern eine mehrdeutige Bedeutung hat; Totalität (z. B. 'Menschengeschlecht') darf mit 'Totalitarismus' (z. B. 'Drittes Reich') nicht verwechselt werden.

Der Terminus Holismus entwickelte sich in enger Beziehung zu der seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. und besonders auf dem Felde der Biologie oder der Paläontologie entstandenen Reaktion (Klaatsch, Westenhofer, 'évolution créatrice' Bergsons, Alexanders 'emergentism', v. Uexküll, v. Bertalanffy, Haldane) gegen den mechanistischen oder atomistischen Evolutionismus (z. B. den mechanistischen Darwinismus, die Physiologie Loebs, den Merismus von W. Roux usw.), obwohl Smuts den neuen Terminus auf einen viel breiteren Horizont hineinprojizierte. Um es mit den Worten des wohl führenden Vertreters des holistischen Programms, Meyer-Abich, zu sagen: der Holismus "verdiente sich die Sporen auf dem Schlachtfeld der Biologie, aber seine Reichweite wurde sofort als global verstanden".

Der Terminus Holismus also, wenn auch ideologischen Ursprungs, wurde sehr schnell in die Sprache der Wissenschaftsphilosophie übernommen, eher als in die der sog. positiven Wissenschaften. Holismus ist nicht eigentlich ein Begriff der wissenschaftlichen Terminologie, wie z. B. 'Entropie' oder 'Homeostase', sondern eher ein philosophischer Begriff, und das, obwohl er in erster Linie der Wissenschaftsphilosophie angehört, ohne die Ontologie auszuschließen. Man könnte sogar behaupten, daß dem Terminus Holismus –in dem alltäglichen Terminologiegebrauch vieler Wissenschaftler, insbesondere aus der angelsächsischen Welt– eine gewisse negative Konnotation anhaftet, 'schmutziger' Begriff vom Typ 'Entelechie' oder 'Dialektik'. "Der Holismus gibt uns keinerlei Erklärung für den großen Erfolg des mechanistischen Prinzips. General Smuts behauptet einerseits, daß die Logik der Wissenschaft unvollkommen ist, andererseits sagt Haldane, daß die Methode des Biologen eine andere ist als die des Physikers. Niemand aber erklärt uns, wie wir vorzugehen haben, um eine neue Logik mit gleichen glänzenden Ergebnissen zu entdecken." (Hogben 1930, XI, 3)

2. Vom lexikalischen Standpunkt aus kann Holismus nicht nur als ein Terminus der philosophischen und gnoseologischen Methodologie der Wissenschaften, sondern ebenso als einer des ontologischen Wortschatzes betrachtet werden. Wir betrachten als holistisch nicht nur bestimmte wissenschaftliche Methoden und Programme, sondern auch bestimmte Auffassungen über die Bereiche, auf die solche Methoden und Programme [553] angewandt werden. Die Korrelation beider Perspektiven sollte trotzdem nicht immer als positiv gelten, da es möglich ist, ordo essendi einen ontologischen Holismus vorauszusetzen, der ordo cognoscendi mit einem Vorschlag von nicht holistischen Methodologien einherginge und der auf gnoseologischen Motivationen gründen würde. Im allgemeinen aber können wir den gnoseologischen Holismus als mit einem ontologischen Holismus vereinigt (und auch umgekehrt) feststellen.

Holismus kann lexikalisch als eine Methodologie oder ein Programm definiert werden, die dazu tendiert, alle Phänomene oder Erscheinungen vom Standpunkt der Totalität aus zu betrachten, von der man annimmt, daß diese Erscheinungen nur Teile sind, und zwar genau in dem Maße, in der eine solche Betrachtungsweise sich zwei anderen alternativen Programmen oder Methoden entgegensetzt, die wir als Merismus und Monismus bezeichnen und die die unverzichtbaren Koordinaten des definierten Begriffes bilden, und zwar:

1) Der Holismus ist den Methoden oder Programmen entgegengesetzt, die dazu tendieren, die Perspektive der Totalität des betreffenden phänomenalen Komplexes zu ignorieren, zu abstrahieren oder gar zu eliminieren, indem sie diesen Komplex auf ein Mosaik verschiedener Elemente, Atome oder Teile reduzieren (Merismus).

2) Der Holismus ist ebenso den Methoden oder Programmen entgegengesetzt, die dazu tendieren, den realen Unterschied zwischen den Teilen oder den Elementen des betreffenden phänomenalen Bereiches zu ignorieren, zu abstrahieren oder zu eliminieren zugunsten einer vorgeblich einfachen Einheit (geistige, methodologisch), die deswegen nicht als Totalität bezeichnet werden könne (Monismus).

Es gibt zweifellos verschiedene Kriterien, um die Modi der Totalität zu bestimmen; das vielleicht gängigste von ihnen ist dasjenige, das sich auf die Größe des Radius der Sphäre oder auf das intentionale Anwendungsfeld der Idee der Totalität bezieht, ein Radius, dessen wichtigste Werte folgende zu sein pflegen: ein unterer Wert (z. B. das Organell einer Zelle in der Biologie), einen mittleren Wert (das Reich des Lebendigen), und zuletzt einen Wert mit unendlichem oder universellem Radius, die omnitudo realitatis. Wir glauben trotzdem nicht, daß dieses Kriterium uns zu der für unser Vorhaben geeigneten Unterscheidung führen könnte, vor allem deswegen, weil ein solches Kriterium seinen vollen Sinn nur dann erreichen kann, wenn man von vornherein denselben ontologischen Status allen gegensätzlichen Erscheinungen zuschreibt, d. h., sowohl dem, was eine positive Einheit von Phänomenen ist (eine Mitochondrie), als auch dem, was nur als metaphysische Annahme betrachtet werden kann (die omnitudo realitatis). Holistisch gedacht und gesprochen: dieser Gegensatz sollte rekonstruiert werden, indem man von 'partikulären Totalitäten' einerseits und von 'universalen Totalitäten' (transzendierende und transzendentale) andererseits spricht; so geht z. B. Meyer-Abich vor; diese Vorgehensweise hat aber einen Mangel an Konsistenz.

Mit dem Gesagten wollen wir keineswegs der Unterscheidung zwischen den Totalitäten nach der Größe des Radius der Sphäre von in ihnen jeweils enthaltenen Phänomenen jegliche Bedeutung absprechen. Was wir aber bezweifeln, ist, daß dieser Gegensatz von solchermaßen formulierten Extremen als unmittelbar zu betrachten wäre. Im Gegenteil wäre es nötig, ihn im Rahmen eines andersgearteten Systems der Unterscheidungen wiederzugewinnen, und zwar des Systems, in dem die distributiven Ganzheiten (Totalitäten) den attributiven entgegengesetzt werden, und dies immer in bezug auf eine Masse von empirischen Phänomenen. Infolgedessen werden die unmittelbaren Gebrauchsmodi des Begriffs Holismus, die in der lexikalischen Definition angegeben sind, die zwei folgenden sein:

I. Holismus nach dem distributiven Modus (Holismus 1), d. h. der distributive Modus des Gebrauchs vom lexikalischen Begriff Holismus Der 'Standpunkt der Totalität' wird auf die Masse der in Frage kommenden Phänomene angewandt, indem man einige ihrer Sphären beschneidet und auf jede von diesen, in distributiver Form, die holistische Methodologie anwendet (d. h. eine weder atomistische noch monistische). Die Begrenzung dieser materiellen Ganzheiten wird auf sehr unterschiedlichen Kriterien gründen können. Eine Zelle wird vielleicht als Totalität betrachtet, aber vielleicht auch wird das holistische Programm auf den mehrzelligen Organismus angewandt, ja sogar auf das ganze Reich des Lebendigen (das die Form der Totalität auf distributivem Wege bekommen wird, und zwar in bezug auf das 'Reich des Anorganischen' und auf das 'Reich des Geistigen'). Das Theorem von Desargues ist grundsätzlich eine globale Struktur, die ihrerseits als Projektion einer Struktur auf einen dreidimensionalen Raum betrachtet werden kann, von der aus die flachen oder eindimensionalen Beziehungen eine holistische Reduktion erfahren.

Wir weisen daraufhin, daß dieser Modus des Holismus (der Holismus 1) nicht partieller oder kategorialer Holismus genannt werden kann, da die distributive Modalität sich –zumindest intentional– auf jeglichen [554] Typus von Realität erstrecken kann, dergestalt, daß der distributive Holismus einen transzendentalen Gebrauch bekommen kann. Im äußersten Falle wird uns diese Modalität des Holismus auf ein Universum verweisen, das in allen ihm eigenen Momenten oder Bereichen sich als Totalitäten konstituiert, wenn auch mit absoluter Distributivität, wie es in dem 'megarischen' Universum der Fall wäre (angenommen, die Wesenheiten des Euklid von Megara wären, unabhängig voneinander, als Totalitäten interpretiert).

II. Holismus nach einem attributiven Modus (Holismus 2), d. h. der attributive Modus der Verwendung vom lexikalischen Begriff des Holismus Nun wird der 'Standpunkt der Totalität' auf die Masse von Phänomenen in einer sozusagen rekursiven Art angewandt, und zwar in dem Sinne, daß jede Sphäre –die auf irgendeine Art und Weise totalisiert wird– nicht als von den anderen Sphären (was ihre Totalisierung betrifft) unabhängig betrachtet wird, eher als mit ihnen integriert, ihnen zu- oder untergeordnet, ohne deswegen in eine monistische Einheit zu verschmelzen (und von daher die Notwendigkeit, das, was die Holisten 'Komplexitätsniveau', Schichten oder Ebenen der Totalisierung nennen, zu bestimmen). Im äußersten Fall mündet diese Form von Holismus in einen 'kosmischen Holismus' (der nicht einfach transzendental-distributiv wäre). Die ursprüngliche Idee von Smuts bleibt in der unmittelbaren Umgebung dieser Grenze angesiedelt: "Eine Überprüfung der Grundbegriffe im Lichte der neuesten wissenschaftlichen Fortschritte offenbart die Existenz einer Faktors oder Prinzips, bis heute vernachlässigt, obwohl es von großer Bedeutung ist. Dieser Faktor, den wir im folgenden Holismus nennen werden, unterstreicht die synthetisierende Tendenz im Kosmos und ist das Prinzip, das Ursprung und Fortschritt der Totalität der Welt bestimmt. Wir werden zeigen, wie diese Totalisierung (whole-making) oder holistische Tendenz von fundamentaler Bedeutung in der Natur ist, wie sie ganz bestimmte Charakterzüge besitzt, und auch, daß die Evolution nichts anderes ist als the gradual development and stratification of progressive series of wholes, stretching from the inorganic beginnings to the highest levels of Spiritual creation."

Zwischen dem distributiven und dem attributiven Modus im Gebrauch von Holismus muß man –wollen wir auf einer philosophischen Ebene bleiben– die möglichen ontologischen Verbindungsbedeutungen bestimmen, deren Analyse uns erlauben wird, in die Dialektik des Begriffes vorzudringen.

Indem wir weiterhin bei der lexikalischen Perspektive bleiben, die die tatsächlichen Gebrauchs formen des Begriffes Holismus betrifft, möchten wir folgendes betonen:

Bezüglich des distributiven Gebrauchs des Terminus Holismus seine reiche Vielseitigkeit, als Folge der verschiedenen Gruppen von Phänomenen, die als Anwendungsfeld des Begriffes dienen. Diese Lage ist jener weitgehend vergleichbar, zu der der Gebrauch des Terminus Gestalt führte, insofern diese im Verhältnis zu einem Grund definiert werden sollte (was einer Verteilung der Gesamtheit der Phänomene gleichkommt). Im übrigen haben sich der Begriff Gestalt, so wie er in der Gestalttheorie verwendet wird, und der Begriff der Totalität im Holismus mehrmals überschnitten. So z. B. trug die engIische Ausgabe (1939) des grundlegenden Werkes von Kurt Goldstein Der Aufbau des Organismus, das gewöhnlich für ein gestalttheoretisches Werk gehalten wird, den Untertitel: 'A Holistic Approach to Biology derived from pathological Data in Man'. Die gestalt-theoretische Perspektive, die ursprünglich für die Klärung psychologischer Phänomene (phi-phänomenon usw.) entwickelt wurde, wurde trotzdem sehr bald auf die physikalischen Phänomene angewandt (Verteilung der elektrischen Ladungen in einem Leiter; s. W. Köhler, Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationär Zustand, 1920). Die holistische Perspektive hatte ihre herausragendsten Anwendungen im Bereich der Biologie (Haldane, Paul A. Weiss, Goldstein), und gerade hier wurden ihre Koordinaten definiert, sowohl gegenüber dem mechanistischen oder atomistischen Pluralismus einerseits (vertreten durch den Mechanizismus im allgemeinen und insbesondere von der –wie sie Paul A. Weiss nannte– molekularen Biologie), andererseits gegenüber dem Monismus (vertreten durch den Vitalismus im allgemeinen und insbesondere durch die Entelechie-Doktrin von H. Driesch). "Es ist längst Zeit, die mechanistische Theorie des Lebens in demselben Grab wie die vitalistische Theorie geziemend zu bestatten". Und er gab seinem vollen und aufrichtigen Einverständnis mit General Smuts Ausdruck "was die Überzeugung betrifft, daß alles, was den Namen von wissenschaftlicher Physiologie verdient, einfach unmöglich ist außerhalb der Hypothese dessen, was er Holismus genannt hat." (Haldane 1931, 1). Eine vergleichbare Stellungnahme liegt vor von E. Cassirer, der das Konzept des Holismus –unter Verweis auf Haldane– als dem dogmatischen Mechanizismus und dem Vitalismus überlegen bezeichnet hat. (Vgl.: Das Erkenntnisproblem, 11,6)

Der holistische Standpunkt aber erstreckte sich bis zu den Sozialwissenschaften und der Anthropologie, [555] indem er die Notwendigkeit eines strikten Vermeidens der Buchstäblichkeit der organizistischen Metaphern im Stile H. Spencers unterstrich und (gegenüber dem soziologischen oder ethnologischen Atomismus, den Theorien des kulturellen Mosaiks oder des Psychologismus, aber auch gegen den romantischen Monismus der Totalitätsmystik, des Volksgeistes) versuchte, alein den Standpunkt der Totalität zu pflegen, die (nicht organisch und auch nicht biologisch) den Gesellschaften oder den Kulturen eigen ist. Marvin Harris sagt diesbezüglich: "Viele Kulturanthropologen haben das Grundmerkmal der anthropologischen Perspektive in deren Holismus gesehen, d. h. in dem Versuch, die Teile eines Systems über die Bezugnahme auf die Ganzheit dieses System selbst zu definieren". Und er zitiert A. Comte als "Schöpfer des Holismus in der Soziologie" (Harris 1968, 3,II).

Was den attributiven Gebrauch des Begriffs Holismus betrifft, werden wir uns darauf beschränken, auf die gnoseologischen und ontologischen Probleme hinzuweisen, die er mit sich bringt, Probleme, die der distributive Gebrauch –zumindest vorläufig– ausklammern kann. Die Anwendung des distributiven holistischen Standpunkts wird mit Problemen konfrontiert, die sich insbesondere auf die Bestimmung des Radius und der Skala, in denen es möglich wäre, von einer konkreten Totalität zu sprechen (Sonnensystem? Organismus? Zelle? Mitochondrien? ADN-Molekül? Kohlenstoffatom?), wie auch mit Problemen hinsichtlich der Natur der holistischen Strukturierung (sind die Dinge wirklich Eizellen, die potentialiter Wer-weiß-was enthalten, wie Waddington – von seinem Metier als Biologe aus -suggeriert, oder sind sie etwa weniger kompakte Totalitäten, zumindest in ihrer Zeitachse?); der attributive Gebrauch des holistischen Begriffs wird sich seinerseits mit den Problemen auseinandersetzen müssen, die die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Schichten oder Sphären ganzheitlicher Art aufwerfen, Schichten und Sphären, die als miteinander durch Beziehungen Ganzes/Teil verzahnt postuliert werden; also mit den Problemen, die um die Scala Naturae, die entstehende Evolution (anorganische Sphäre, Biosphäre, supraorganische Sphäre oder Noosphäre) kreisen, oder auch mit Fragen bezüglich des jeweiligen Realitätstypus, der –im Zusammenhang des Ganzen– diesen 'partikulären Totalitäten' entsprechen könnte, die trotzdem erkannt werden müssen, um nicht in den kosmischen Monismus eines Parmenides oder eines Anaxagoras zurückzufallen.

Eher als mit der psychologischen Gestalttheorie kreuzt sich hier der Holismus mit der Allgemeinen Relativitätstheorie und ihrer Theorie der Kräftefelder als holistische Perspektive in bezug auf ihre eigenen lokalen Zonen; selbstverständlich unter Verwendung des physikalischen Universums (endlich, wenn auch unbegrenzt) als einer Totalität, die notwendig ist, um die lokalen physikalischen Phänomene zu erklären (die Holisten haben sich häufig auf Eddington oder Whitehead berufen). Man muß trotzdem diesbezüglich anmerken, daß einige Interpretationen oder Verwendungen der Relativitätstheorie den eigentlichen Holismus überflügeln, der pluralistisch sein will (wenn er das Postulat der Diskontinuität irgendwie anerkennt, indem er eine Vielfalt von Sphären und ihrer aufeinanderfolgenden Emergenz als gegeben betrachtet), und Positionen beziehen, die dem kontinuistischen Monismus eindeutig nahe liegen. "Alles, was es gibt, ist mit allen anderen existierenden Dingen verbunden, dem ganzheitlichen Prozeß des Universums. Diese Verbindung kann entweder direkt –durch ein singuläres Quantum– oder indirekt –durch eine bestimmte Reihe von Bindungen– sein", sagt Bohm in Scientific Change (478, Ed. Crombie). Die Holisten können in der Tat sehr wohl eher zu dieser monistischen Grenze tendieren als zu der des absoluten Pluralismus. Der Holismus kreuzt sich hauptsächlich mit der allgemeinen Theorie der évolution créatrice im Sinne von Bergson, mit dem Emergentismus von Alexander oder auch –nach dem Kriege– mit dem metaphysischen Evolutionismus eines Teilhard de Chardin. Dem aufsteigenden Evolutionismus wird der Holismus einen irgendwie absteigenden Evolutionismus entgegenzusetzen versuchen ('der Übergang vom Homogenen zum Heterogenen' bei H. Spencer), eine Neufassung des neuplatonischen Prozesses, zumindest in dessen gnoseologischer Version, so wie es sich in dem widerspiegelt, was Meyer-Abich "das holistische Vereinfachungsprinzip" genannt hat. Es ist jedoch Meyer-Abich selbst, der Goethe zu den Anregern des Holismus zählt, und zwar mit dessen 'Fragment über die Natur': "Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen- unvermögend, tiefer in sie hineinzukommen ... Sie ist ganz, und doch immer unvollendet..."

3. Die Definition von Holismus, die wir vorgeschlagen haben und die diesen zwischen den Atomismus und den Monismus einordnet, gibt Aufschluß über die Prägnanz eines solchen Begriffes, um von ihm aus die praktische Gesamtheit der verschiedenen Schulen der Geschichtsphilosophie und der wissenschaftlichen Methodologien zu [556] rekonstruieren. So wäre es möglich, z. B. eine Neuinterpretation des eleatischen Monismus zu versuchen, und zwar gegenüber dem demokritischen Atomismus, als der beiden Extreme, die erforscht werden müssen vor der Erarbeitung des aristotelischen Systems. Aristoteles selbst wird häufig als ein holistischer Denker betrachtet (eine im übrigen sehr fragliche These, besonders wenn man seine Theologie in Betracht zieht). In diesen historischen Rekonstruktionen können sich die Holisten –besser als auf irgendjemand anderen– auf Plato berufen, und dies wegen dessen Lehre der symploké, wie sie vor allem im Sophistes dargestellt wird. Die Idee der symploké ist ein Ergebnis der gnoseologischen Kritik gegen den kontinuistischen Monismus ('wenn alles mit allem verbunden wäre, so könnten wir nichts erkennen') und gegen den absoluten Pluralismus ('wenn nichts mit irgendetwas anderem verbunden wäre, so könnten wir nicht denken'). Die von dem Holismus in Anspruch genommene Position zwischen dem Monismus und dem Pluralismus ist also der Position ähnlich, die Plato für sich selbst beanspruchte, nämlich zwischen ionischem oder eleatischem Monismus und dem megarischen und atomistischen Pluralismus. Der Holismus könnte versuchen, die Idee der symploké zu rekonstruieren, unter der Bedingung allerdings einer (nicht immer expliziten) Zustimmung zum 'Prinzip der Diskontinuität' und der Ablehnung des monistischen Kontinuismus. Wir wollen die womöglich gute Begründung einer solchen Rekonstruktion nicht präjudizieren, umsomehr, als es einfach anachronistisch wäre, Plato für einen Holisten zu halten, und es besser wäre, zu behaupten, der Holismus selbst sei eine Perspektive, die als eine besondere und schwache Anwendung der symploké-Theorie analysiert werden könne. A. Meyer-Abich (1956) hat versucht, ein allgemeines Schema einer systematisch-historischen Neudarstellung des philosophischen Denkens von den Vorsokratikern bis heute von einer holistischen Perspektive aus zu geben (und zwar ohne Bezugnahme auf die platonische Lehre der symploké); was wir in unserer lexikalischen Definition als 'Koordinaten' des Holismus-Gedanken betrachtet haben, wird in Meyer-Abichs Schema zur These und Antithese, die zur holistischen Synthese führen: durch eine ganze Reihe von historischen Zyklen oder Spiralen hindurch, in denen sich der Radius der transzendentalen (also nicht nur empirisch-phänomenischen) Erkenntnis auf Kosten der transzendenten Ordnung ausbreitet. Für Meyer-Abich ist der Holismus selbstredend ein Idealismus, und die Geschichte des Holismus wäre die Geschichte der drei großen idealistischen Schemata: des klassischen (Aristoteles), des transzendentalen (Kant oder Hegel) und des historischen.

Ohne die Legitimität dieser Rekonstruktionsversuche zu bezweifeln (obwohl es nötig sein wird, sich nur an ihre Ergebnisse zu halten), scheint es uns doch ratsamer bei der Geschichte des Holismus, sich in der Nähe der Probleme unseres Jahrhunderts zu halten, da der Terminus sich um diese herum kristallisierte. Vom Standpunkt der Philosophiegeschichte aus wäre der Holismus im Kontext zu umschreiben, der in unserem Jahrhundert vom Erfolg der Methoden der Physik und der Chemie (von denjenigen 'mechanizistisch' genannt, die Begriffe wie den der heterogenen Synthese vergessen, Begriffe, die dazu bestimmt sind, den Reduktionismus der rein additiven Betrachtung der Konstruktionen zu überwinden), der Biologie, der molekularen Biologie und der Darwinschen Evolutionstheorie einerseits bestimmt sind, und vom 'Vitalismus' und 'Mystizismus' andererseits. In diesem Rahmen wäre die Geschichte des Holismus in engem Kontakt mit der Geschichte der Gestalttheorie und der Systemtheorie zu schreiben, weil diese großen Koordinierungsschemata sehr häufig und intensiv koinzidiert haben, wenn auch unter Wahrung der relativen Autonomie ihrer jeweiligen Wege, die von ihren ursprünglichen Problemstellungen bestimmt sind; Bertalanffy –auch wenn er im Kapitel zur historischen Einführung zu seiner Allgemeinen Systemtheorie den Gestaltpsychologen Köhler zitiert– achtet peinlich darauf, weder Smuts noch irgendeinen anderen der 'militanten' Holisten zu erwähnen.

4. Die holistischen Problemstellungen –in dem, was sie mit den gestalt- oder systemtheoretischen gemeinsam haben– sind vorwiegend auf der Ebene der Biologie oder der Gesellschaftswissenschaften (Linton 1947, 3: "cultures and societies are all configurations in which the patterning and organization of the whole is more important than any of the component parts") benutzt worden. Auf dieser Ebene ist es häufig sehr schwierig –es sei denn, aus historischen Gründen– die holistische Sichtweise Haldanes oder Goldsteins mit den gestaltorientierten Kriterien Waddingtons oder Merleau-Pontys oder mit der systemischen Perspektive Bertalanffys oder Weiss' auseinanderzuhalten; dies, weil der Holismus sich als charakteristischste Perspektive nicht vornehmlich auf der Ebene der regionalen (distributiven) Probleme erweist, d. h. der Probleme, die einer bestimmten Sphäre eigen sind (das Leben, die Gesellschaft), sondern gerade auf der Ebene der Interkonnexionsprobleme der verschiedenen [557] Sphären, der Probleme der Evolution, der Emergenz, der scala naturae, des gnoseologischen Reduktionismus. Der Holismus bleibt in diesem Sinne, und in seiner attributiven Funktion, dem Problemkontext treu, in den er von Smuts gestellt wurde: ihn interessieren die gnoseologischen und ontologischen Probleme bezüglich des 'globalen Bildes des Universums', das von den Ergebnissen der verschiedenen positiven Wissenschaften bestimmt ist. Man könnte also in diesem Sinne sagen, daß der Holismus in seiner stärksten Bedeutung eine pluralistische (aber nicht mechanistische) Konzeption der Welt ist, mit einer harmonistischen Tendenz (die die Verkettung der verschiedenen Realitätsschichten unterstreicht), und nicht-monistisch (nicht-geschlossen), sondern offen ist (Meyer-Abich, A. Koestler). Der Holismus stellt sich in eine Reihe mit nicht-materialistischen, emergentistischen Ideologien, die man als metaphysisch oder idealistisch bezeichnen könnte.

5. Wegen des in 4. Gesagten kann man verstehen, daß die Terminologie des Holismus (und insbesondere die Terminologie des sogenannten idealistischen Holismus mit seiner Neigung zu einem nicht-dialektischen Harmonismus) sich außerhalb der marxistischen Forschungen entwickelt hat, bezogen sowohl auf den dialektischen wie auf den historischen Materialismus. Eine gewisse Ähnlichkeit logischen Charakters besteht zwischen vielen Punkten, die sowohl aus marxistischer Perspektive als auch vom Holismus behandelt werden (so z. B.: Umschlagen der Quantität in Qualität, Emergenz und qualitative Sprünge, 'konkrete Totalitäten'); so wäre die Möglichkeit zu diskutieren, den Holismus (zumindest in seinem distributiven Modus) marxistischen Gedanken näherzubringen: "Der Engelssche Begriff von der Bewegungsform ist besonders dazu geeignet, zwei Momente auszudrücken: das der Gemeinsamkeit zuerst, der Einheit der Phänomene; und sodann das der Besonderheit oder Spezifizität derselben" (Kedrow 1976). Man muß freilich einräumen, daß die marxistische Terminologie jegliche holistische 'Ansteckung' vermieden und stets eine kritische Haltung gegenüber einer 'bürgerlichen' Ideologie eingenommen hat, die verwandt mit der 'évolution créatrice' Bergsons oder gar mit dem Kontingentismus von Boutroux ist.

6. (1) Das holistische Programm könnte wegen der Breite seiner Voraussetzungen kaum eine eindeutige Bedeutung erreichen. Nicht nur die Bedeutung, sondern auch die Konsistenz werden sehr verschieden sein, je nachdem man ihr eine rein gnoseologische Tragweite beimißt oder aber sie als ontologisch verpflichtet betrachtet. Der Holismus, insbesondere in seiner distributiven Richtung, erlaubt eine methodologische Interpretation, die von metaphysischen Positionen weitaus freier ist, als es der Holismus in seiner attributiven Richtung erlaubt.

Tatsächlich kann man den Holismus nach seinem distributiven Modus (und je nach dem Gegenstand oder der Sphäre, auf die er angewandt wird) als eine gnoseologische Methodologie von größtem heuristischen Wert benutzen, und wenn es nur wegen seines Aspekts als systematische Korrektur aller substantialistischen oder mystischen (Entelechie der Organismen, Volksgeist der gesellschaftlichen Formationen) oder reduktionistischen Problemstellungen wäre. Lassen wir die monistischen Problemstellungen in der modernen Wissenschaft beiseite, so werden wir doch entdecken, daß der wirkliche gnoseologische Widersacher des methodologischen Holismus (distributiv auf ein bestimmtes physikalisches, biologisches oder soziales Feld angewandt) kein anderer als jener Reduktionismus ist, der auf dem physikalischen oder biologischen Felde zum Mechanizismus führt und auf dem soziologischen zum Psychologismus (z. B. zur Reduktion der gesellschaftlichen Klassen auf bloße Gruppen von Individuen, die sich nur deswegen ähneln, weil sie alle an bestimmten Verhaltensnormen oder an einer bestimmten 'Mentalität' teilhaben). Was der methodologische Holismus eigentlich verteidigt, sind die anti-reduktionistischen Positionen: die Wirksamkeit der biologischen Kategorien (der morphologischen und sogar der theologischen), die auf die physikalisch-chemischen Kategorien nicht zu reduzieren sind, die Realität der soziologischen oder anthropologischen, auf Psychologie oder Ethologie nicht reduzierbaren Kategorien. Was dem Holismus vorgeworfen wird, ist, daß in der Tat der holistische Biologe Methoden gebraucht, die sich von denen des mechanistischen Biologen in nichts unterscheiden. Haldanes "wichtigen Beiträge zu unserem Wissen über die Chemophysik des Blutes wurden alle unter Anwendung der Methode des Physikers gemacht" (Hogben 1930, 10, 2). Was man auf jeden Fall unterscheiden sollte, sind die konkreten Methoden einerseits und die benutzten Begriffe andererseits, um sie zu analysieren (indem man sie entweder voneinander differenziert oder aber vermengt, je nachdem). Tatsache aber ist, daß die in dieser Debatte benutzten Begriffe ganzheitliche Begriffe sind (aus der Theorie der Ganzheiten und der Teile), freilich in einem übertriebenen Zustand der Unbestimmtheit. Der Holist behauptet, er halte die Perspektive der Totalität aufrecht, während der Reduktionist antwortet, er könne nicht anders, als sich [558] an die analytische Methode zu halten, die immer mit dem Inbetrachtziehen der Teile zu tun hat. Das 'Ganze' und die Teile' aber, von denen die einen wie die anderen sprechen, sind Begriffe, die man in einem solchen Unbestimmtheitsgrad nicht mit Nutzen verwenden kann.

Benutzen wir stattdessen die Unterscheidung zwischen materiellen Teilen (die die Form des Ganzen nicht behalten, wie die nach der Pulverisierung einer Porzellanvase übrigbleibenden Moleküle) und formalen Teilen (die die Form des Ganzen behalten, nicht etwa, weil sie mit diesem homogen sind, sondern weil ausschließlich in bezug auf das Ganze über ihre Form Auskunft erteilt werden kann, wie z. B. bei einem genügend großen Stück der zerbrochenen Vase oder etwa bei dem Chromosom einer bestimmten Säugetier-Art). Im Rahmen einer solchen Unterscheidung könnten wir von molekularen Totalisierungen (oder auch von atomistischen Totalisierungen) und von holistischen Totalisierungen sprechen. Es ist aber offensichtlich, daß man zum Ganzen nicht kommen kann, wenn man von den materiellen Teilen ausgeht, jedoch –im umgekehrten Sinne– zur Erkenntnis der Chemophysik der Beziehungen zwischen den materiellen Teilen, 'indem man die Methode des Physikers' anwendet, und zwar innerhalb eines klar bestimmten ganzheitlichen Rahmens. Wenn wir aber von formalen Teilen ausgehen, die von einer jeden Wissenschaft adäquat festgesetzt wurden, und zwar nach einer eigenen Skala, dann wird es wohl prinzipiell möglich sein, das Ganze zu 'rekonstruieren', indem wir dieselbe analytische Methode anwenden wie derjenige, der sich mit den materialen Teilen befaßt. Man sollte also nicht so sehr von einem Gegensatz zwischen zwei Typen von operativen Methoden sprechen (dem atomistischen und dem holistischen) –auch wenn man die Einheitlichkeit der wissenschaftlichen Methode in diesem Punkte akzeptiert–, sondern von verschiedenen Stufen der Definitionen von den Klassen der Begriffe und der Relationen, die die Bereiche der verschiedenen Wissenschaften konstituieren. Danach könnte man den atomistischen Reduktionismus –statt als eine zur angeblichen holistischen Methode alternative operationale Methode– als den Versuch betrachten, heterogene Gebiete in dieselben Klassen von Urelementen (Atome, Moleküle) aufzulösen, während man den Holismus neu definieren könnte – nicht mehr als die Rückkehr zur Perspektive der Totalität, sondern als die Anwendung derselben operativen Methode auf eine andere Skala von formalen Elementen. Jedes kategoriale Feld hat demnach seine eigenen Gründe, die jeweils nach den eigenen Elementen oder Relationen formuliert sind und die wiederum mal materiale mal formale Teile in bezug auf die phänomenalen Totalitäten sind. Die soziologischen Gesetze können nicht aus physikalischen Prinzipien abgeleitet werden, sondern aus Prinzipien, die selbst soziologischer Natur sind; dasselbe geschieht mit den geometrischen Gesetzen, die die Anordnung der polygonalen Fliesen bestimmen, obwohl diese selbst aus Materialien hergestellt wurden, die physikalischen und chemischen Gesetzen unterliegen.

(2) Wenn aber das holistische Programm ohne gnoseologische Reduktionen interpretiert wird, d. h. in seinen eindeutigsten ontologischen Bedeutungen, wird sich die Frage nach seiner logischen Konsistenz von selbst stellen, und zwar aus der gegenseitigen Unvereinbarkeit, die sich sehr oft zwischen den beiden bisher betrachteten Formen des Holismus herausbildet.

In seiner distributiven Richtung –und in dem Maße, in dem man dieser eine ontologische Tragweite zuerkennt– ist der Holismus eigentlich mit der Negation des attributiven Holismus gleichzusetzen. Die Wirklichkeit wird vor uns wie eine Pluralität von Ebenen, Strukturen, Systemen oder autonomen Totalitäten erscheinen, die eigentlich isoliert voneinander sind (die 'Kulturen' 0. Spenglers) und deren Grenze von der megarischen Metaphysik gebildet wird. Dieser Grenze nähern sich, vom biologischen Felde aus, just die antidarwinistischen Bewegungen vom Anfang dieses Jahrhunderts, die ihre einflußreichste Form im Werk von v. Uexküll fanden (gegenüber der Lehre von der Veränderung der Arten nach dem Axiom 'natura non facit saltus'; v. Uexküll – wie später auch Edgar Dacqué und andere – schlug die These der Unveränderlichkeit der Arten nach deren globalen Plänen vor, eine Idee, die er selbst in seinen Ideen zu einer biologischen Konzeption der Welt mit den platonischen Ideen vergleicht).

Der Holismus in seiner attributiven Richtung enthält den Keim der Negierung einer jeden Distributivität. Bietet der attributive Holismus das Bild einer grandiosen Lehre, dann nur deswegen, weil er selbst die scharfe Abgrenzung der verschiedenen Ebenen oder Sphären der Totalität voraussetzt, obwohl diese doch als in das 'totale Ganze' eingegliedert betrachtet werden: in das 'Sein'. Diese Voraussetzung ist aber nur ein einfaches Postulat, bar jeder operationalen Kraft. Nehmen wir z. B. das von Meyer-Abich vorgeschlagene Modell der drei transzendentalen Ebenen (Totalitäten): Abiosphäre, Biosphäre, Psychosphäre, die jede wiederum vier Schichten oder Realitäten [559] enthält (Punkt, Punkt-Masse, Energie und Wirkquantum in der Biosphäre, usw.); die Abiosphäre wird demnach wie eine gewisse Totalität behandelt, wenn auch in vier anderen Ebenen aufgeschichtet, die voneinander durch einen einzigen kontingenten Charakter getrennt sind (so wäre z. B. zwischen der klassischen thermodynamischen Energie und dem Wirkquantum die atomische Struktur die einzige kontingente Trenncharakteristik, eine Struktur, die für die Plancksche Energie gilt, nicht aber für die klassische thermodynamische Energie), während die Ebenen oder Sphären durch 'transzendente Charaktere' getrennt sind, d. h. durch eine Unzahl von kontingenten Charakteren (in einem ähnlichen Sinne, wie ihn E. Boutroux dem Kontingenz-Begriff gab). Eine solche Anordnung, in der der geometrische Punkt auf dieselbe Reihe gestellt wird, auf der das Wirkquantum erscheint, und in der man nicht wissen kann, ob die Totalität doch die Sphäre selbst ist oder eine jede von ihren Teilen, ist mit einer Indefiniertheit der Grenzen einer jeden Totalität gleichzusetzen, so wie mit der Indefiniertheit der Menge oder Gesamtheit, die man 'offene Totalität' nennt.

Um es in der Terminologie Kuhns zu sagen: der Holismus ist kein Paradigma irgendeiner Wissenschaft. Man könnte wohl behaupten, daß diese Art von Holismus stets dazu neigt, jede in anderen einschließenden Totalitäten totalisierte Formation durch Absorption zu löschen und die Distributivität zu negieren, indem sie sich –als ihrer natürlichen Grenze– einem Monismus eleatischen Typs nähert. Diese Tendenz des kosmischen Holismus ist in der Entwicklung des Denkens eines Biologen sehr gut zu beobachten, der –wie K. Goldstein– damit anfängt, den holistischen Charakter des individuellen Organismus zu betrachten, um sodann diesen Organismus als Teil oder Pulsschlag einer umfassenden Totalität –der Art und des Lebens im allgemeinen (Biosphäre)– zu betrachten; dies führt dazu, daß die Grenzlinien der untergeordneten Totalitäten allmählich unklar und verschwommen werden – reine phänomenale Erscheinungen in der wahren Kontinuität des ungeteilten kosmischen Ganzen. Es ist sicher kein Zufall, wenn Goldstein (1943, 252 ff.) an die Beziehungen zwischen doxa und aletheia im Poem des Parmenides erinnert.


Alexander, S., 1920, Space, Time and Deity, London.

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Gustavo Bueno Martínez, Oviedo